Meine Damen und Herren, liebe Gäste, lieber Elias Bierdel, lieber Stefan Schmidt, ich habe, als ich eingeladen wurde, hier die Laudatio zu halten, sofort zugesagt. Wir haben nochmal überlegt, Elias Bierdel und ich: Wir kennen uns über 20 Jahre. Er war als Journalist immer mal in Kontakt und wir haben natürlich auch an anderen Themen gemeinsam gearbeitet.
Aber ich will als Allererstes dazu sagen: Ich gratuliere dir – und wir alle gratulieren dir – zu dieser Auszeichnung, die du mehr als verdient hast. Das ist die Anerkennung dafür, dass du dich für die Menschlichkeit eingesetzt hast, dass du öffentlich diffamiert worden bist, und du bist gerechtfertigt worden und du bist hoch anerkannt. Herzlichen Glückwunsch, Elias!
Ich habe mich ganz schnell damals, als ich das gehört habe, geäußert, und ich wusste, wir kannten uns aus Diskussionen über den Irak-Krieg. Er war im Irak. Ich war niemals im Irak, aber ich habe diesen Krieg immer abgelehnt und für fatal gehalten. Ich kann mich erinnern, wir haben eine gemeinsame Diskussion gehabt im Fernsehen, an dem Tag, an dem die amerikanischen Truppen in Bagdad einmarschiert sind. Und wenn man sich nochmal anguckt, was er damals gesagt hat, dann war das schon sehr weitblickend. Wenn man die katastrophalen Auswirkungen sieht, dann muss ich sagen, wie wichtig es war, dass wir vor dem Krieg gewarnt haben und dass wir uns auch nicht beteiligt haben als Deutsche und ihn auch nicht mitfinanziert haben. Und er war da in dieser Frage absolut klar.
Vielleicht nochmal zur Erinnerung, obwohl ich glaube, hier muss man vielleicht das nicht nochmal extra tun: Im Sommer 2004 hat Elias Bierdel, zusammen mit Kapitän Stefan Schmidt, 37 afrikanische Flüchtlinge in Porto Empedocle auf Sizilien an Land gebracht. Diese afrikanischen Flüchtlinge wurden von Cap Anamur aus Seenot gerettet. Nach der Landung wurden die 37 Geretteten festgesetzt und später aus Italien quasi hinausgejagt. Elias Bierdel, der Kapitän Stefan Schmidt und der 1. Offizier Vladimir Daschkewitsch wurden wegen angeblicher „Schlepperei“ verhaftet und das Schiff als angebliches „Tatwerkzeug“ beschlagnahmt. Und dann hatten die Verhafteten eine Anklage wegen „Beihilfe zu illegaler Einreise“ zu gewärtigen, die übrigens in Italien – und ich habe das damals sehr genau verfolgt – begleitet worden ist von großen Sympathiekundgebungen für Elias Bierdel und seine Kollegen. Und am 16. Juli 2004, fünf Tage nach ihrer Verhaftung, sind sie dann wieder freigekommen. Aber Elias Bierdel – und das hat mich sehr geschmerzt – wurde auf seinem Posten als Vorsitzender des Komitees Cap Anamur nicht wiedergewählt. Er wurde von den Verantwortlichen für sein Verhalten und das Verhalten der Crew kritisiert. Dabei bin ich der Meinung, das, was da gemacht worden ist, schließt an an das, was für die vietnamesischen Boatpeople gemacht worden ist. Es ist das Gleiche und die Kritik war völlig unberechtigt.
Im November 2006 wurde dann in Agrigent auf Sizilien der Prozess eröffnet. Ich kann mich erinnern, am 7. Oktober 2009 hat mich die SMS-Nachricht erreicht, dass alle drei von einem Gericht in Agrigent freigesprochen worden sind. Ich sage aber nochmal an dieser Stelle, wenn man sich überlegt, von 2004 bis praktisch jetzt, auch die mögliche Zurückweisung von Revision, das sind sechs Jahre, in denen Elias Bierdel diffamiert worden ist, und immer wieder auch Kritik geäußert worden ist. Ich sage: Ihm wurde schweres Unrecht getan. Er hat sich um die Menschlichkeit verdient gemacht. Er verdiente Lob und Anerkennung und ich hoffe, dass das auch nach diesem Preis und mit diesem Preis dazu führt, dass er im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland und Europas anerkannt wird als jemand, der sich für Flüchtlinge eingesetzt hat und aktiv tätig geworden ist. Ich habe damals im Jahr 2004 gesagt – mein Kollege Otto Schily leider nicht – (und ich kannte Elias Bierdel, ich wusste, was ihn bewegt hat): „Es darf nicht zugelassen werden, dass Elias Bierdel dafür bestraft werden soll, weil er Menschen, die in große Not geraten sind, helfen wollte. Humanitäre Aktionen dürfen nicht kriminalisiert werden.“ Und das sage ich auch heute, denn es ist ja in vielerlei Hinsicht ein noch immer sehr ungelöstes Problem. Ich denke, es ist in Elias Bierdels Interesse, wenn ich jetzt nicht seine Person im einzelnen darstelle, sondern wenn ich auf die Fragen eingehe, wie können wir eigentlich dazu beitragen, mehr Humanität zu verwirklichen? Wie können wir unsere Verpflichtungen wahrnehmen? Und was sind die aktuellen Herausforderungen? Wofür müssen wir tätig werden?
Elias hat damals Ertrinkende retten wollen und Europa gleichzeitig an das Drama an seinen Küsten erinnern wollen, an die vielen Flüchtlinge, die bisher durch ihre verzweifelten Versuche, von Afrika nach Europa zu gelangen, den Tod gefunden haben. Und zwar, darauf hat er hingewiesen und das ist völlig richtig, in einer Straße im Mittelmeer, die von Militärflugzeugen mehrfach überflogen wird und die die bestbeobachtete Gegend ist, so dass es jedem auch klar sein musste, was dort vor Ort passiert. Heribert Prantl, dem ich für seine klare Haltung auch noch einmal danken will, hat damals in der Süddeutschen Zeitung die richtigen Worte getroffen. Ich zitiere ihn: „Wer an schiffbrüchigen Flüchtlingen vorbeifährt und sie ersaufen lässt, ist ein Unmensch. Der Mensch aber, der sie aus dem Meer fischt und an Land bringt, wird verhaftet. Diese teuflisch-absurde Alternative kennzeichnet Geist und Praxis des europäischen Asylrechts.“ Und ich füge hinzu, das muss sich ändern und das wollen wir auch ändern.
Wenn wir die jetzige Situation betrachten (und ich habe im Vorfeld dieser Laudatio nochmal bei den Kollegen, die sich ganz besonders der Situation von Flüchtlingen annehmen in ihrer Verantwortung auch im Deutschen Bundestag, rückgefragt): Seit August 2009 ist es so, dass es fast unmöglich wird für Flüchtlinge über das Mittelmeeer nach Italien zu kommen. Und zwar deshalb, weil es einen perversen Deal zwischen Berlusconi und Gaddafi gibt. Diese haben gemeinsam besetzte Patrouillenboote ausgerüstet, die versuchen – und das auch schaffen – die Flüchtlinge entweder so abzuschrecken, dass niemand mehr dort flüchtet, oder sie aufgreifen und in Lager in Libyen verschleppen. Mein Kollege, mit dem ich gesprochen habe, der in einem dieser Lager war – und das war das, das sie sehen durften – sagte: „Das sind katastrophale Verhältnisse!“ Es ist völlig unerträglich, wenn man sich vorstellt, dass mit europäischer Verantwortung eine solche Praxis betrieben wird.
Und die zweite Situation, die auch dazu gehört, wie sich Europa abschottet, ist, dass Menschen, die von Westafrika kommen – und das sind häufig Armutsmigranten, die von dort kommen – auf die Kanarischen Inseln flüchten. Ich habe mich dem immer widersetzt, so lange ich das als Ministerin konnte, weil ich hätte zustimmen müssen: Dazu sind EU-Abkommen bilateral eingegangen worden, die praktisch eine Rückführung der Flüchtlinge in die Länder, aus denen sie geflüchtet sind, zum Inhalt haben. Und zwar mit den Entwicklungsländern in Afrika, mit Ghana und vielen anderen, so dass Menschen, die dorthin geflüchtet sind, praktisch mit der Zustimmung – erpressten Zustimmung! – ihrer Regierung dann wieder in das Land zurückgeschoben werden. Heute ist es so, und das hat ja die aktuelle Diskussion auch bestimmt, dass eben die meisten Menschen, die aus Afrika flüchten, über den Landweg versuchen, über Zypern, die Türkei, nach Griechenland zu kommen. Der Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle selbst hat die Lage der Ausländer in Griechenland – wen wundert das? – „prekär“ genannt. Die Karlsruher Verfassungsrichter haben darauf hingewiesen, dass Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, nicht zurückgeschoben werden nach Griechenland. Die Hauptverhandlung wird dann Anfang 2011 stattfinden.
Das Allermindeste, aus meiner Sicht, ist aber, dass ein Land wie Griechenland – und das brauchen wir in der jetzigen Situation gar nicht zu begründen – diese Situation nicht allein schultern kann. Das Allermindeste ist, dass es eine europäische Solidarität geben muss. Dass Menschen, die nach Griechenland flüchten, die Chance haben, in europäischen Ländern dann tatsächlich auch zu Hause zu sein. Vor allen Dingen, wer schon in Deutschland ist und aus Griechenland hierher geflüchtet ist, der muss die Chance erhalten, hier zu bleiben, das ist das Allermindeste, was in der jetzigen Situation notwendig ist.
Es geht darum, Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht die Flüchtlinge. Das war für mich als Entwicklungsministerin immer die Hauptaufgabe. Wir alle kennen die Genfer Flüchtlingskonvention, die natürlich zum Beispiel Umweltflüchtlinge oder auch Armutsflüchtlinge oder auch intern Vertriebene in der Form noch gar nicht so kennen konnte wie das damals 1951, als sie geschaffen worden ist, der Fall war.
Ich will darauf hinweisen, dass weltweit 214 Millionen Menschen außerhalb ihrer Herkunftsländer leben. Übrigens – soviel zum Thema „Last tragen“ – 60 Prozent von ihnen fliehen zwischen unterschiedlichen Entwicklungsländern. Das heißt, die Ärmeren tragen auch den großen Teil der Last. Ich denke, es geht auch darum – und das ist ein Punkt, der immer hochaktuell ist – dass die Menschen in Afrika die Chance haben müssen, ihre eigenen Lebensverhältnisse zu gestalten. Dass die Europäische Union vor den Küsten Afrikas praktisch den afrikanischen Ländern die Rechte zu fischen abgekauft hat oder abgepresst hat, das bedeutet, dass die EU-Fischereipolitik ein Teil des Problems ist, weil sie das Überleben der Fischer an diesen Küsten schwer gemacht und Menschen in Perspektivlosigkeit gestürzt hat. Auch da gibt es diese Verantwortung.
Und die Situation der Umwelt: Durch die Finanzkrise sind noch einmal 100 Millionen Menschen mehr in Armut gestürzt worden. Die entsprechenden Auswirkungen der Umwelt und des Klimawandels führen dazu, dass Menschen – mehr auch als das vielleicht früher der Fall war – fliehen, weil der Acker kein Bewirtschaften mehr erlaubt. Man verlässt die Heimat, weil Alternativen zum Lebensunterhalt fehlen. Also aus Armut. Man flieht, weil aus ökologischen Problemen gesellschaftliche Brennpunkte wurden. Etwa 50 Millionen Menschen fliehen vor Umweltkatastrophen. Schätzungsweise die Hälfte aller Flüchtlinge hält sich in städtischen Gebieten auf. Ein Drittel leben in Flüchtlingslagern. Im subsaharischen Afrika leben 70 Prozent aller Flüchtlinge in Flüchtlingslagern. Was muss getan werden, damit die Industrieländer, zumal die Europäer, ihre Verantwortung wahrnehmen?
Für mich ist das Allerwichtigste – wir haben ja zehn Gebote einer gerechten Gestaltung der Globalisierung, die Milleniumsentwicklungsziele – dazu beizutragen, dass sie auch in Afrika ungesetzt werden: Dazu beizutragen, dass Armut bekämpft wird; dazu beizutragen, dass Kinder in die Schule gehen können und Lebensperspektiven haben; übrigens auch dazu beizutragen – und das steht im nächsten Jahr und im Jahr 2012 an -, dass es Regelungen gibt, die den Transfer von legalen und illegalen Kleinwaffen, insbesondere nach Afrika, unterbinden. Denn das sind ja die Instrumente, mit denen Kinder und Menschen zu Soldaten gemacht werden. Mit den Waffen, die geliefert werden, werden die Konflikte ausgetragen, die Menschen dann auch in die Flucht jagen. Also mit dazu beizutragen, dass es Abkommen gibt, die diesem Transfer ein Ende setzen oder ihn jedenfalls eindämmen. Das ist eine wichtige Aufgabe, zumal wenn Deutschland jetzt ab Januar dem UN-Sicherheitsrat angehört.
Und nochmal zu den Milleniumsentwicklungszielen: Dazu gehört zum Beispiel, dass die Kinder- und Müttersterblichkeit drastisch zurückgedrängt wird. So lange es immer noch so ist, dass jede Minute weltweit eine Frau – jede Minute eine Frau! – stirbt an den Folgen der Geburt oder bei der Geburt selbst, so lange nehmen wir unsere Verantwortung gegenüber diesen Menschen nicht wirklich wahr. Und so lange wir nicht selber auch dem Klimawandel entgegen arbeiten und da die notwendigen Entscheidungen treffen, so lange sind wir mitverantwortlich für die Situation in afrikanischen Ländern.
Wir haben jetzt aktuell die Situation: Weltweit sind 11,4 Billionen US-Dollar – eine unvorstellbare Zahl! – für die Stabilisierung des Finanzsektors und der Wirtschaft ausgegeben worden. 11,4 Billionen US-Dollar! 1,3 Billionen US-Dollar immer noch für Rüstung. Ich plädiere dafür, dass wir auch diese globalen Ungleichgewichte ändern. Das Schlimme ist, dass bei diesen ökonomischen Ausstiegsstrategien jetzt ja die Entwicklungsländer noch einmal getroffen werden, denn die Zusagen, die finanziell gemacht worden sind, werden nicht eingehalten – unter dem Titel „Sparen“. Wir müssen aber unsere Verpflichtungen und unsere Zusagen einhalten, um der Menschlichkeit willen, aber auch um dazu beizutragen, dass Menschen in Afrika Lebenschancen haben und ein besseres Leben und eine bessere Perspektive für ihre eigenen Kinder und für die eigenen Familien haben. Und ganz sicher gehört auch mit dazu, Agrar-Export-Subventionen zu beenden, die letztlich ein dauerhafter Angriff auf die eigene Produktion der afrikanischen Länder sind. Mit dazu beizutragen, dass da Veränderungen stattfinden, das ist eine Lebensaufgabe. Ich habe das seit 30 Jahren versucht, ich hoffe, es gelingt denn trotz alledem.
Und der letzte Punkt: Ich plädiere sehr dafür, dass das Asylrecht – auch europäisch, aber auch unseres zu Hause – grundsätzlich geändert wird. Ich habe damals übrigens gegen diese Regelung gestimmt. Ich kann mich noch gut erinnern, das war in Bonn, es muss 1993 gewesen sein. Und diese sogenannte „Drittstaatenregelung“, die bedeutet letztlich, dass man als Flüchtling in dem Moment, in dem man irgendwo in einem anderen Land den Fuß auf den Boden gesetzt hat, eben nicht mehr hier vor Ort das Asyl einklagen kann. Ich meine, wir sollten die Diskussion, die ich vorhin zu Griechenland geführt habe, nutzen, um dazu beizutragen, dass wir sowohl ein deutsches als auch ein europäisch verändertes Asylrecht haben. Die Art, wie Europa mit den Flüchtlingen aus Afrika umgeht, die widerspricht jeder Zivilisation und jeder humanen Verpflichtung, denen die Europäer sich doch verschrieben haben.
Und in diesem Sinn hoffe ich, dass das, was Elias Bierdel geleistet hat, auch einen Anstoss dafür gibt, dass in unserem Land und in Europa wir uns über unsere Verantwortung mehr im Klaren sind, sie tatsächlich auch für uns immer wieder in praktisches Handeln umsetzen.
Wir danken dir für das, was du geleistet hast und auch Ihnen (Stefan Schmidt), dass Sie alle Widerstände überwunden haben. Wir haben mit euch gelitten, das kann ich sagen, und ich glaube, das gilt für uns alle, und wir freuen uns heute mit euch. Ihr habt es wirklich verdient. Vielen Dank!