-Es gilt das gesprochene Wort-
Ich schließe mich der schon geäußerten Freude an, Sie verehrte Frau Shiva hier in Deutschland zur Verleihung des Blue Planet Award begrüßen zu können. Ganz besonders freue ich mich aber über die besondere Ehre, die Laudatio für die Verleihung dieses Preises an Sie zu halten.
Vom ASIA Week Magazin sind Sie, die Trägerin des Alternativen Nobelpreises 1993, als eine der 5 bedeutendsten Personen in Asien ausgezeichnet worden, das Time Magazin ernannte Sie 2003 als die Umweltheldin. Gemessen an diesen Kategorien Ihrer globalen Bedeutung bin ich als Laudator nur ein kleines Licht, das eine Sonne beschreiben soll. Sie gehören, wenn es um Umwelt, Frauenrechte und wahrhafte Nachhaltigkeit geht, zu den herausragenden DenkerInnen unserer Zeit. Ihre schier unendlichen Aktivitäten für eine bessere und gerechtere Welt lassen sich hier in kurzer Zeit gar nicht darstellen; daher verzeihen Sie bitte meine Verkürzungen.
Vandana Shiva erwarb sich ihre wissenschaftlichen Grundlagen als Physikerin; ihre kulturellen und philosophischen Wurzeln befinden sich selbstverständlich im Hinduismus und der indischen Geistesgeschichte. So verschmelzen ihre beiden großen Vorbilder Albert Einstein und Mahatma Gandhi, denen sie so erfolgreich nachfolgte, zu einem neuen Vorbild für uns alle.
Mit der Gründung der Research Foundation for Science, Technology and Ecology schufen Sie sich das Instrument, mit dem Sie Ihre vielfältigen Forschungen betreiben und für die praktische und politische Anwendung zuspitzen konnten. Mit Ihrer Rückkehr in die heimatliche Welt der Bauern behielten Sie den nötigen Draht zur naturnahen Landwirtschaft und zum ursprünglichen Wirtschaften. Für die auf beiden Komponenten beruhende Arbeit und vor allem für Vandana Shivas vielfältiges Engagement gegen die modernen Formen der Kolonisierung der Natur, der Frauen und der nichtwestlichen Kulturen bekam sie mehr als 16 Auszeichnungen und Preise. In mehr als 14 Büchern und unzähligen wissenschaftlichen Publikationen haben Sie Ihre Kritik an der globalisierten Ausbeutung der Natur und des Wissens, am globalisierten Diebstahl der Nahrungsgrundlagen und der Wasserreserven, an der globalisierten Zerstörung der Biodiversität und der kulturellen Vielfalt dargelegt und die Möglichkeiten des organisierten dringend nötigen Widerstands gegen diese Fehlentwicklungen aufgezeigt.
Wir müssen Vandana Shiva nicht nur dafür danken, dass sie sich immer wieder in der vordersten Front dieses Widerstands befindet, sondern auch dafür, dass es ihr gelungen ist, mit dem Begriff Erd-Demokratie ihres neuesten Buchs den verwässerten, abgeschliffenen und von Konzernen wie auch Regierungen und Medien in verdrehtem Sinn übernommenen Begriff der Nachhaltigkeit neu zu beleben. Erd-Demokratie ist konsequent gelebte, gedachte und praktizierte Nachhaltigkeit; sie bedeutet achtsamen Umgang mit Menschen und Natur. Achtsamkeit wäre daher ein nur schwer von Politik und Industrie zu korrumpierender Begriff an Stelle des missbrauchten Begriffs der Nachhaltigkeit.
Vandana Shivas zehn Prinzipien der Erd-Demokratie erinnern mich an ein vor Jahren im Rahmen einer Enqète-Kommission des Deutschen Bundestags von mir formuliertes „Grundgesetz der Nachhaltigkeit“. Dies zeigt mir die große Verbundenheit in der weltweiten Bewegung der engagierten Ökologen.
Diese umfassende Bewegung muss sich – ganz im Kontext mit Vandana Shivas Idee der Erddemokratie – richten gegen den Totalitarismus von einigen hundert Konzernen, die nach Besitz und Kontrolle von Natur, Biodiversität, Rohstoffen, Gen-Strukturen und -dateien, landwirtschaftlichen Produktionen und von Atomanlagen streben. Sie muss sich richten gegen Staaten, die sich als Schutzmächte dieser Konzerne der Gier betrachten, die die neoliberale Macht des Marktes überführen in eine faschistische Dominanz über die Menschen, insbesondere über diejenigen, die anderer Meinung, anderer Kultur und anderer Hautfarbe sind.
Eigentlich ist es gar nicht verwunderlich, dass eine Inderin die zentrale Rolle spielt im Kampf gegen die Imperialismen und Faschismen unserer Zeit. Indien, das Herzstück des britischen Imperialismus, musste einen Gandhi hervorbringen. Hier wurde erstmals der klassische Imperialismus besiegt – gewaltfrei. Hier wurde gezeigt, dass die indische Zivilisation im Gegensatz zur so genannten westlichen eher so bezeichnet werden kann. Immerhin werden und wurden in ihr Tieren und Pflanzen eine ganz andere Achtung entgegengebracht als im Westen.
Noch hat der Westen, die europäischen Industrieländer und die USA nicht aufgehört, andere Kulturen und Zivilisationen zu zerstören. Diese Zerstörung findet heute mit den Mitteln der Technik und der Wissenschaft statt. An Stelle von Kanonenkugeln werden Patente, betrügerische Urheberrechte, gentechnisch veränderte Organismen, so genannten humanitäre Hilfen, Lebensmittelhilfen, ja sogar Babynahrungsmittel – wie von Nestle praktiziert – eingesetzt. Diese Mittel befinden sich in den Händen von kapitalkräftigen Organisationen, von Konzernen und staatlichen Organisationen. Deren Wirken ist vergleichbar mit dem der z.B. spanischen Konquistadoren in Mexiko und Peru im 16. Jahrhundert oder mit der Ausrottung der Indianer in Nordamerika bis ins 19. Jahrhundert: Weder das Leben der Menschen und Tiere, noch die Intaktheit von Kultur und Natur wurden von ihnen geachtet. Es ging und geht allein um den finanziellen Profit, damals wie heute: um die Gier nach Gold, Gewinn und Macht.
Dagegen haben sich in Indien schon früh Initiativen gebildet:
In den 70er Jahren haben die Chipco-Frauen durch Umarmen von Bäumen in den Wäldern deren Abholzen verhindert.
Das bis heute existierende Netzwerk der Navdanya-Bauern hat gegen den Druck der so genannten grünen Revolution, gegen die multinationalen Agrarkonzerne eine Naturwirtschaft wiederaufgebaut, die sich sehen lassen kann. Ein Teil der ehemaligen Biodiversität ist wieder zurückgeholt worden, weil weder chemische Düngemittel noch Pestizide eingesetzt werden. Zudem sind die Einkommen dieser Bauern 3 x höher als die der Chemie einsetzenden.
Schon 1959 hat sich das Frauenkollektiv Lipjat Papal gebildet, dem heute 40 000 Frauen angehören. Ihr wichtigster Grundgedanke ist: Sorge dafür, dass andere nicht weniger bekommen als Du und vergisst zu überlegen, wie Du mehr als andere erhalten kannst. Dies ist eine der wichtigsten Nachhaltigkeitsgrundlagen gegen jegliche Konkurrenz- und Marktideologie der westlichen Industrienationen.
Auch das Versorgungssystem der Dabba walas in Mumbai für Essen ist eine nachhaltige und selbstverwaltete Wirtschaftsform, die für die Beschäftigten in großen teilen Mumbais für Essenskultur und Nahrungsvielfalt sorgt und damit dem fast-food Paroli bietet.
Ich wünschte mir, dass hier in Berlin wenigstens ein Hauch solcher Aktivitäten stattfinden würde. Stattdessen muss man Bio-Restaurants und vegetarische Restaurants mit der Lupe suchen. Selbst eine grüne Ministerin hat es nicht geschafft, dass in den Restaurants des Bundestags, oder in den Uni-Mensen, oder in den Krankenhäusern Bio-Qualität angeboten wird.
Die vorangegangenen Beispiele aus Indien sind dem wunderbaren Buch zur „Erddemokratie“ von Vandana Shiva zu entnehmen.
Wie gut täte dieser Stadt und diesem Land eine Vandana Shiva, die mit ihren unermüdlichen Aktivitäten in Indien schon so viel erreicht hat. Hier nur ganz wenige Beispiele:
Das Saatgutschutzprogramm Navdanya; eine Demonstration mit 500 000 Menschen in Bangalore gegen die Kontrolle des landwirtschaftlichen Lebens durch nationale und internationale Institutionen; eine Kampagne gegen die Patentierung des Neembaums und eine gegen die Biopiraterie beim Basmati-Reis. Damit begann der öffentliche Widerstand gegen GATT und WTO und es bildeten sich die Bewegungen für Biodiversität und Saatgutdemokratie, für Wasser – und Nahrungsdemokratie.
Schon früher kritisierte Dr. Shiva, dass Frauen und Natur durch die industrielle Revolution auf ihre Rolle als Lieferanten menschlichen und natürlichen Rohmaterials reduziert worden seien. Mit den Werken „Staying Alive: Women, Ecology and Survival in India“ (1988) und „Ecofeminism“ von 1993 richtet sie die Aufmerksamkeit der Welt auf die herausragende Rolle der Frauen in den Entwicklungsländern und platziert Frauen und Ökologie in das Zentrum des modernen Diskurses um Entwicklungshilfe. Sie gründete die „Gender-Forschung“ am International Centre for Mountain Development (ICIMOD) in Kathmandu und die internatioanle Bewegung „Diverse Women for Diversity“.
Unermüdlich macht Vandana Shiva in vielen Publikationen auf die negativen sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen der Globalisierung aufmerksam. Sie bekämpft erfolgreich die Biopiraterie großer Konzerne für Saatgut – wie im Fall des Neembaums – und unterstützt internationale Kampagnen gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel. 2004 eröffnet sie die internationale Hochschule „ Bija Vidyapeeth“ für nachhaltiges Leben in Zusammenarbeit mit dem „Schumacher College“ in Großbritannien.
Auf dem „World Social Forum“ im März 2002 hat sie in voller Übereinstimmung mit den übrigen Globalisierungskritikern ausgeführt:
„Die herrschende Weltordnung – d.i. eine mit WTO, IWF, u.a. – untergräbt die soziale, ökologische, politische und ökonomische Nachhaltigkeit und führt zum Zusammenbruch von Gesellschaft, Öko- und Wirtschaftssystem“. Insbesondere seien die multinationalen Konzerne zu kritisieren, deren Saatguthandel und deren Präferenz gentechnisch veränderter Organismen die natürliche Landwirtschaft und damit die Lebensgrundlage aller Dritte-Welt-Länder zerstören. Mit dem Einfluss dieser Konzerne wüchsen Korruption und antidemokratischen Entwicklungen.
Dies wird dann verstärkt – wie bei der Gentechnik zu verfolgen – wenn Regierungen wie die der USA die Gentechnik-Konzerne auf internationalen Konferenzen unterstützen. Die Proteste Shivas und vieler anderer weltweit befinden sich übrigens voll im Einklang mit dem Cartagena- Protokoll zur biologischen Sicherheit. Dieses Biosafety-Protokoll erkennt ausdrücklich an, dass genmanipulierte Organismen Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bergen. Um die biologische Vielfalt davor zu schützen, sind die Länder sogar verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu treffen. Die USA jedoch negieren in der Gentechnik ebenso die unermesslichen Risiken wie beim Klimawandel und gehören zu den Nichtunterzeichnern des Biosafety- und des Kyoto-Protokolls – die Unterzeichner verhalten sich allerdings auch nicht viel besser. Der Kampf gegen diese Borniertheit und gegen die von ihr profitierenden Saatgut-, Öl- und Auto-Konzerne muss weitergehen. Vandana Shiva hat dazu schon beachtliche Beiträge geliefert mit der Gründung des „Living Democrazy Movement“, die sie folgendermaßen erläuterte:
„Wir brauchen ein neues Paradigma, um die Zerstörung und Zersplitterung gewachsener Strukturen zu beenden. Wir brauchen eine neue Bewegung, die uns hilft, von einer destruktiven Kultur der Gewalt, Zerstörung und des Todes zu einer gewaltfreien, friedlich-kreativen und lebenserhaltenden Kultur zu kommen. Deshalb wurde in Indien die Bewegung für eine lebendige Demokratie gegründet“.
Dieses Verständnis von Demokratie geht weit über die herrschende westliche Definition hinaus: es werden demokratische Rechte für alle Lebensformen auf dem Planeten eingefordert, also nicht nur für die Menschen, sondern auch für Tiere, Pflanzen, ja die ganze Natur in ihrer Vielfalt.
Von dieser ganzheitlichen Betrachtungsweise nicht weit entfernt ist das von Shiva aus der indischen Tradition übernommene „weibliche Lebensprinzip“, das dem von ihr mitbegründeten Öko-Feminismus zu Grunde liegt.
Dieser kritisiert den männlich geprägten Begriff von Macht, wie V.S. ausführte:
„Was wir stattdessen brauchen, ist ein ganz neues Verständnis von Macht: Macht, die von Innen kommt, deutlich „Nein“ sagt zu allen Formen der Unterdrückung, eine Macht, die uns und andere ermutigt, anstatt andere zu vernichten, um den eigenen Vorteil zu sichern“
Der Ökofeminismus wendet sich gegen den neuen Schöpfungsmythos des modernen Kapitalismus, nach dem nur Kapital etwas Neues schaffen kann.
„Wer z.B. in Saatgut-Industrie investiert, glaubt, die Samen zu besitzen und Bauern, die Saatgut aufheben und wieder verwenden, wie Diebe behandeln zu dürfen. Damit wird das Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf den Kopf gestellt: die eigentlichen Piraten werden belohnt, die Bewahrer bestraft.“
Diese Umkehr der Werte muss beendet werden. Die Piraten- und Bankräuber-Gesellschaft gehört abgelöst durch eine neue andere Welt.
Daran hat Vandana Shiva gearbeitet, dafür ist Ihr sehr zu danken – jetzt auch mit dem Blue Planet Award. Sie ist zwar nicht allein in ihrem Kampf und ihrer Arbeit. Dennoch muss ich sagen, wir könnten in der heutigen Welt nicht zehn, nicht hundert, tausende Vandana Shivas gebrauchen. Die Welt sähe jetzt schon anders aus; deswegen lasst uns alle ihrem Beispiel folgen.
Ihnen Frau Shiva wünsche ich, noch viele Jahrzehnte an der Fortsetzung Ihrer wundervollen Arbeit arbeiten zu können.