Wirtschaft zwischen Demokratie und Verbrechen
-es gilt das gesprochene Wort-
Rede von Prof. Hans See/ Maintal – Chefredakteur “Big Business Crime” (Zusammenfassung)
Die Wirtschaft leistet massiven Widerstand gegen jegliche staatliche Einmischung in ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Notfalls weicht sie in rechtsfreie Räume oder in Kapitaldiktaturen aus oder neutralisiert mittels Bestechung oder Erpressung missliebige öffentliche Kontrollen, Gesetze und Vorschriften sowie gewerkschaftliche Mitbestimmungsrechte.
Sie monopolisiert die Medien und lässt kritische Bücher und Medienberichte mittels einstweiliger Verfügungen und Methoden der Privatzensur unterdrücken. So können die Herrschaften in den demokratiefreien Chefetagen der Konzerne – oft ungestraft – die Wettbewerbsvorteile des Gesetzesbruchs nutzen, ohne dass es die Öffentlichkeit merkt. Seit dem Ende der „kommunistischen Gefahr“ haben Unternehmen mit teilweise kriminellen, meist illegitimen Methoden die Privatisierung öffentlichen Eigentums betrieben, sie haben Staat und Gesellschaft, auch große Teile des Mittelstandes, ausgeplündert und mit ihren neoliberalen Finanzmarktstrategien viele Staaten der Welt und ihre Bevölkerungen in eine krisenhafte Überschuldung getrieben.
Längst hat der Sozialstaat aufgehört, die Kontrollen gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht auszubauen. Er wurde selbst unter die Kontrolle der Mächtigen der Wirtschaft gebracht, die mit seiner Hilfe und Abhängigkeit eine zunehmend militärisch ausgerichtete deutsch-europäische Weltmachtpolitik betreiben. Arbeitnehmer und Arbeitslose werden systematisch ihrer sozialen Rechte und ihrer bürgerlichen Freiheiten beraubt.
Die Gegenmaßnahmen wirken hilflos. An der Wirksamkeit von ethisch fundierten Selbstverpflichtungen muss gezweifelt werden. Nicht nur kapitalkritische Analysen, auch der Alltag der Bevölkerungen aller Staaten zeigen unübersehbar, dass die Verantwortlichen der Wirtschaft, auch die, die sich als aufrechte Demokraten und subjektiv ehrliche Kapitalvertreter zum Sozialstaat bekennen, objektiv zwischen Demokratie und Verbrechen stehen. Das heißt, dass sie sich – wenn sie entscheiden müssen, ob sie sich den demokratisch legitimierten Mitbestimmungs-, Sozial- und Umweltgesetzen, in letzter Instanz den Wirtschaftsstrafgesetzen beugen, oder zu Lasten geschützter Rechtsgüter den Gesetzen der Profitmaximierung gehorchen – sich gegen das demokratische Gesetz, gegen die Demokratie entscheiden. Was sich aus der Entscheidungsfreiheit der Kapitalstrategen entwickelt, zeigen Krisen, Kriege und Katastrophen in Geschichte und Gegenwart.
Die Kritik der kriminellen Ökonomie, in die auch der Untergrundkapitalismus des zusammengebrochenen Staatssozialismus eingeschlossen ist, bietet derzeit die einzige aussichtsreiche Chance, etwas mehr kritische Öffentlichkeit und damit Demokratie zurückzuerobern. Kritik an Wirtschaftskriminalität kann nicht als Steinzeitsozialismus verunglimpft werden, deshalb hat sie die Potentiale, eine neue Aufklärungsepoche einzuleiten.
Die Kritik der kriminellen Ökonomie liefert mit ihren Argumenten den Treibstoff, der die alten und neuen sozialen Bewegungen wieder in die Offensive bringen kann. Eine bessere Welt ist also möglich. Aber nicht, wenn die demokratischen Kräfte nur für bessere Gesetze kämpfen, sie auch noch durchsetzt und es dann aber Unternehmern, Politikern, Medien und der Strafjustiz überlässt, ob diese Gesetze auch respektiert und ihre Lenkungsfunktionen nicht außer Kraft gesetzt werden. Von den demokratiefreien Chefetagen gehen weit größere Gefahren für Mensch und Natur, Demokratie und Frieden, Kultur und Gerechtigkeit sowie innere und äußere Sicherheit aus als von der mehrheitlich gewollten Begrenzung der unternehmerischen Betätigungsfreiheit durch wirksame Mitbestimmungs- und Wirtschaftsstrafgesetze.