Conrad Schuhler
Weltwirtschaftskrise – und jetzt wohin?
Noch vor zwei Monaten konnte der große Krisenmanager der Bundesregierung, Finanzminister Steinbrück, keinerlei Anzeichen einer allgemeinen Wirtschaftsrezession erkennen. Nun wird sie von allen, auch von den amtlichen Seiten festgestellt. Der Internationale Währungsfonds IWF) prognostiziert für 2009 für sämtliche kapitalistischen Zentren einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Diese Gleichzeitigkeit des Rückgangs ist ein Novum in der Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg. Dieses Mal kann nicht eine noch funktionierende Region die anderen wieder anschieben helfen. Vielmehr zieht im globalisierten Kapitalismus jeder mit seiner Krise den anderen weiter nach unten. Der IWF sieht den „Exportweltmeister“ Deutschland denn auch an der Spitze der Krisenverlierer, dicht gefolgt von den USA. Nach den neuesten Zahlen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel ist in Deutschland die Wirtschaft im zweiten Quartal 2008 um 1,7 % geschrumpft, im dritten Quartal um 2,1 %. Alle Welt weiß mittlerweile, dass es 2009 noch „dicker“ kommt. Der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank sieht „ein Drittel Wahrscheinlichkeit“, dass Deutschlands Volkseinkommen 2009 um 4 % sinkt. Vom McKinsey Institute im November 2008 befragte führende Manager in allen Kontinenten gehen davon aus, dass die Krise tiefer reicht als die früheren und auch länger währt – erst ab 2011 wäre mit Besserung zu rechnen. Wir haben es nicht mit einer bloßen Krise des Finanzsystems zu tun, wie Steinbrück und Co. es weismachen wollten. Es steht auch nicht nur eine der periodischen Krisen der kapitalistischen Wirtschaft an, die bloß tiefer und länger ausfiele als die früheren Konjunkturkrisen. Tatsächlich erleben wir eine tiefgreifende Strukturkrise des kapitalistischen Akkumulationsregimes, das seit fast vierzig Jahren die Weltwirtschaft prägt.
Das alte Akkumulationsmodell der neoliberalen Globalisierung ist gescheitert
Wir erleben derzeit den Zusammenbruch der neoliberalen Globalisierung, die ab Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts den „Fordismus“ als Entwicklungsmodus des Kapitalismus abgelöst hatte. „Fordismus“ meint die heute von vielen verklärte Phase des „Sozialstaats“, der „sozialen Marktwirtschaft“, der „sozialen Partnerschaft“. Richtig an der historischen Erinnerung des Sozialen im Kapitalismus ist, dass in dieser Phase der Massenkonsum – und als dessen Voraussetzung relativ hohe Masseneinkommen – die Triebfeder der kapitalistischen Akkumulation waren. Als Ende der sechziger Jahre die mit der fordistischen Arbeitsorganisation zu erzielenden Produktivitätszuwächse zurückgingen, waren gleichzeitige Erhöhungen von Profiten und Masseneinkommen aus der Perspektive des Kapitals nicht mehr zu leisten. Die gewaltig ausgebauten Produktionspotenzen erwiesen sich als „Überakkumulation“, als im Verhältnis zur kaufkräftigen Nachfrage überdimensioniert. Konsequent setzte der Kapitalismus ein neues Akkumulationsmodell durch, eben die Globalisierung. Dem Kapital, das sich innerhalb der nationalen Grenzen nicht mehr in verlangter Höhe verwerten ließ, wurde globale Mobilität verschafft. Der Warenexport wurde intensiviert, die einzelnen Staaten zu „nationalen Wettbewerbsstaaten“ umgebaut, wo im Namen der globalen Wettbewerbsfähigkeit die Beschäftigtenentgelte reduziert und Sozial- und Steuersysteme strikt im Interesse der Unternehmen und „Investoren“ umstrukturiert wurden. Die Folge davon war natürlich u.a., dass sich die Binnenmärkte im Verhältnis zu den Produktionskapazitäten weiter verringerten, und der Druck, Kapital- und Warenexporte auszudehnen, weiter zunahm. Allerdings wurde das globale Kapital vom Problem der Überakkumulation schnell eingeholt. Denn die im Interesse der globalen Wettbewerbsfähigkeit zu erfolgende Minimierung der Kosten – und das heißt vor allem: der Personalkosten – sorgte in den neu vom Kapital „erschlossenen“ Ländern ebenfalls zur Verringerung der kaufkräftigen Nachfrage im Verhältnis zu den neu entstehenden Produktionskapazitäten. Die Globalisierung führte zur globalen Überakkumulation. Um so mehr stürzte sich das Kapital zur Verwertung seiner sprunghaft wachsenden Profite auf den Finanzsektor. Ein immer größerer Teil der in der realen Wirtschaft erzielten Profite wanderte, da in der Realwirtschaft in der geforderten Höhe nicht zu verwerten, in „Finanzinvestitionen“. Das weltweite Geldvermögen schnellte in wenigen Jahren auf über 100 Billionen Dollar hoch, das Doppelte der jährlichen weltweiten Wirtschaftsleistung. Über einem sehr langsam wachsenden Volumen materieller Güter und Dienstleistungen entstand ein gigantischer Berg von „fiktivem Kapital“, Geldvermögen ohne den materiellen Gegenwert. Der leise Lufthauch der US-Immobilienkrise brachte das Kartenhaus zum Einsturz. Die Schuldenwirtschaft der USA, die seit Jahren als „Markt der letzten Instanz“ für die Exportüberschusswirtschaften aller Länder fungiert hatte, brach zusammen. Der neoliberale Kapitalismus, wie wir ihn seit zwei Generationen kennen, hatte seinen Offenbarungseid zu leisten.
Die Bankrotteure haben noch nicht aufgegeben Was aber nicht heißt, dass die Bankrotteure ihre alte Geschäftsidee aufgegeben hätten. Die erklärte Absicht der neoliberalen Eliten in Politik und Wirtschaft ist es offenbar, die derzeitige Schock-Starre der Menschen auszunutzen, um mit Billionen-Beträgen von Steuergeldern die Verluste der Finanzinstitute und anderer Großkonzerne aus der Realwirtschaft auszugleichen. Allein die USA haben über 8 Billionen Dollar, weit über die Hälfte des jährlichen Einkommens des ganzen Landes, zur Stützung des Finanzsektors bereit gestellt. In einer Übergangsphase soll der Staat in den Industrieländern sanierend eingreifen, um die Unternehmen nach erfolgter Operation wieder in die private Profitmacherei zu entlassen. So sind z.B. die Bindungen an Auflagen des kreditgebenden Staates in Deutschland auf Ende 2011 befristet. Pünktlich zum erwarteten Konjunkturaufschwung sollen – nachdem die Verluste sozialisiert wurden – die Profite wieder privatisiert werden. Von den staatstragenden Politikern eine andere Haltung zu erwarten, ist abwegig. Sowohl die rotgrüne wie die Große Koalition waren eifrige Wegbereiter der „Deregulation“, haben u.a. Hedgefonds in Deutschland legalisiert und machen sich nach wie vor stark für eine möglichst ungehinderte globale Mobilität von Kapital und Waren. Auch die Hoffnung, im neuen US-Präsidenten Barack Obama hätten wir es mit einem neuen Roosevelt zu tun, der wie dieser damals mit dem „New Deal“ nun einen eigenen Entwurf eines neuen Wirtschaftsmodells vorlegen würde, ist wohl eitel. Das wirtschaftliche „Kompetenzteam“, mit dem sich Obama umgeben hat, ist aus Veteranen der Clinton-Regierung zusammengestellt, also aus jener Phase, als die USA die neoliberale Globalisierung mit aller Macht durchsetzten.
Ein neuer, global integrierter Stamokap?
Was die alten und immer noch herrschenden politischen Eliten aus dem Bankrott gelernt haben, ist, dass man den Markt nicht komplett frei machen darf für das Walten der Konzerne. Ganz im Sinne der frühen neoliberalen Theoretiker der Freiburger Schule, zu deren Adepten auch Ludwig Erhard, der Vater des „deutschen Wirtschaftswunders“ nach dem Zweiten Weltkrieg zählt, soll jetzt ein „Ordoliberalismus“ aufgezogen werden. Der Staat soll als Lenker und Ordner der wirtschaftlichen Räume auftreten, die vom privaten Großkapital dann nach seinen Profitmaximen gefüllt werden. Wir stehen, wenn es nach den Vorgaben der herrschenden Politik geht, vor einer Renaissance des Stamokap, des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Diesmal nicht begrenzt auf die jeweiligen Staatsgrenzen, sondern nach Möglichkeit global koordiniert und integriert. Diese gewachsene internationale Kooperation zeigt sich schon jetzt in dem koordinierten Vorgehen der einzelnen Zentralbanken und in der Abstimmung der vielfältigen Konjunkturprogramme. Der Finanzgipfel der G20 in Washington hat zudem belegt, dass die Industrieländer in dieses globale Steuerungssystem auch die großen Schwellenländer – u.a. China, Indien, Brasilien, Russland, Indonesien, Mexico, Argentinien, Südafrika – einschließen wollen (und müssen) . Die G 7 sind überholt, die G 20 soll den neuen „kollektiven Imperialismus“ organisieren. Angesichts der Verschiebung der Gewichte innerhalb der Weltwirtschaft zugunsten der Schwellen- und der Rohstoffländer werden die Elemente des Konflikts gegenüber denen der Kooperation in dieser neuen Weltwirtschaftsordnung zunehmen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass angesichts des gestiegenen globalen Widerspruchspotentials die transatlantische Gemeinschaft von USA und EU-Europa näher aneinander gedrückt werden. Wie muss die Linke auf dieses totale Funktionsversagen des Kapitalismus und den drohenden international organisierten Stamokap reagieren? Selbst unter der radikalen Linken ist die Feststellung unumstritten, dass es weder ein schlüssiges Konzept der Alternative noch die sozialen Kräfte gibt, um die Strukturkrise des Kapitalismus jetzt zur Krise des Systems und zu seiner Überwindung weiter zu treiben. Vor diesem allgemeinen Hintergrund sind aber deutlich verschiedene Linien der „systemischen Kritik“ auszumachen. Die quantitativ überwiegende Überlegung lautet: Nicht der Kapitalismus hat versagt, sondern seine „entfesselte Form“ des Neoliberalismus. Hierin sind sich liberale Leitartikler von FAZ und Süddeutscher Zeitung mit dem eben nobilitierten Nobelpreisträger Krugman ebenso einig wie mit den realistischen Linken von Attac. Deren ideologischer Wortführer Peter Wahl erklärte in einem Grundsatzpapier („With Realistic Radicalism“), nicht der Kapitalismus als solcher sei zum Stillstand gekommen, sondern nur ein bestimmter Typ. Nun müsse man im Sinne der „varieties of capitalism“nach einem anderen, funktionsfähigen Kapitalismus-Typ suchen.
Wo liegen die Potentiale eines fortschrittlichen Kapitalismus?
Die Meinung, dass der moderne Kapitalismus endogene Potentiale einer fortschrittlichen Erneuerung aufweist, denen man politisch zum Durchbruch verhelfen könnte und müsste, birgt eine ganze Reihe von Problemen. Paul Krugman, heute globaler Sprecher der Keynesianer, meint, dass, bevor man überhaupt an grundsätzliche Fragen des Systems herangehe, zunächst die unmittelbare Gefahr des Zusammenbruchs gebannt werden müsse, wozu zwei Dinge notwendig seien: die Kreditflüsse wieder in Gang zu bringen und die Nachfrage zu erhöhen. Dies ist nur wenig entfernt von der Schlagzeile einer satirischen US-Zeitschrift: „Rezessionsgeplagte Nation verlangt neue Blase, in die investiert werden kann.“ Die Krise ist das Resultat von zu viel Geld und Kredit und zu wenig Wachstum der realen Wirtschaft, die noch dazu in einer fatalen Richtung wuchs, Umwelt, Ressourcen und menschliche Arbeit verschlingend. Krugmans Rezepte gehen am Kern des Problems vorbei. Kreditausweitung und keynesianische Geldvermehrung schaffen, wenn nicht die Strukturen der Wirtschaft verändert werden, nur die Grundlagen für die nächste, noch gewaltigere Blase und deren baldiges Platzen. Wer ernsthaft den möglichen progressiven Potenzen des Kapitalismus nachspürt, landet wie Attac- Sprecher Wahl bei kategorischen Imperativen, ohne die der Kapitalismus nicht aus seiner Misere herauskäme, was er bei der nötigen Nachhilfe auch einsehen würde. Wo könnte denn heute, fragt Wahl wie viele andere, der nötige Wachstumsimpuls herkommen? Wenn kein Wunder geschieht, lautet die Antwort, ist der einzige Kandidat in Sicht die Nachfrageseite, also die Löhne und Gehälter. Dies ist eine Neuauflage des Problems, vor das sich der Kapitalismus am Ende des Fordismus gestellt sah. Einer Zunahme der Reallöhne kann das Kapital nur zustimmen, wenn die Zuwächse der Arbeitsproduktivität so hoch wären, dass sie das gleichzeitige Anwachsen der Masseneinkommen und der Profite zulassen würden. Ein solcher technologischer Quantensprung ist nicht in Sicht. Die Idee, im „zivilisierten Kapitalismus“ gestiegene Masseneinkommen als Antriebskraft der Akkumulation fungieren zu lassen, setzt eine eminente Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der „subalternen“ Schichten voraus. Das moderne Finanzkapital, womit die geeinte Kraft von Finanzsektor und Realkapital gemeint ist, würde sich einer solchen Politik mit allen Kräften widersetzen. Der Kampf um solche grundlegenden Reformen ist längst nicht mehr eine Auseinandersetzung innerhalb von „varieties of capitalism“, sondern eine fundamentale Auseinandersetzung mit der herrschenden Fraktion des Kapitalismus. Wenn solche Reformen durchgesetzt werden sollen, dann muss die Macht des globalen Kapitals, das gleichzeitig das national dominierende Kapital ist, entscheidend zurück gedrängt, sie muss überwunden werden.
Die Option eines „grünen Kapitalismus“
Eine völlig andere Option für eine wirtschaftliche „Gesundung“ des Kapitalismus wäre, im Sinne der Kondratieffschen „langen Wellen der Konjunktur“ eine neue Technologie- und Investitionsoffensive zu starten, wie sie früher mit der Einführung des Webstuhls, der Eisenbahn, der Automobilindustrie, der Informations- und Kommunikationstechnologie usw gelungen ist, die jeweils zu diesen „langen Wellen“ einer aufsteigenden Konjunktur geführt haben. Eine solche Möglichkeit scheint in der Entwicklung eines „grünen Kapitalismus“ zu stecken, der Umrüstung der Transport- und Energieindustrie auf schadstoffarme und ressourcensparende Verfahren. Abgesehen davon, dass der stärkste Teil des Großkapitals, der im Auto-Bau-Energie-Rüstungssektor gebündelt ist, sich diesem Vorhaben mit aller Macht widersetzen würde: Würde die Umstellung unter der Ägide des Großkapitals durchgeführt, so würden die erheblichen Kosten den Massen der Subalternen aufgebürdet und die Kosten würden spekulativ in die Höhe gedrückt, wie dies z.B. mit den Nahrungsmitteln geschehen ist, als das spekulative Geldkapital sich Mitte 2008 aus dem Immobiliensektor zurückzog und einstieg auf das Segment der Lebensmittel. Die Linke kann sich mit solchen, die angeblichen fortschrittlichen Potenzen des Kapitalismus beschwörenden Vorstellungen nicht zufrieden geben. Sie muss sich vielmehr kritisch und entschieden mit der Propaganda des „zu läuternden Kapitalismus“ auseinandersetzen. Wann, wenn nicht jetzt inmitten der offenkundigen Pleite des herrschenden Kapitalismus, müssen die Imperative des Kapitalismus nicht nur akzidentell, nicht nur in seinen aktuellen Erscheinungsformen, sondern prinzipiell, in seinen Grundlagen angegriffen werden? Die Vorstellung, man dürfe den Menschen nur das ideologisch vorsetzen, was sie offenkundig schon verstehen könnten, ist reaktionär und dumm. Dass der Kapitalismus in den entscheidenden Fragen der Menschheit versagt – wie komme ich zu einer guten Arbeit, die mich und die meinen versorgt; wie finde ich zu einer vernünftigen Versorgung bei Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Alter; wie schaffen wir eine nachhaltige Produktion, die Ressourcen, Arbeitskräfte und Klima schont; wie stellen wir Produkte her, die nützlich für die Menschen sind und nicht für die Profitkalkulation; wie schaffen wir die Ausbeutung ab, in den Industrieländern und vor allem auch in und gegenüber den Ländern der „Dritten Welt“ – das alles muss jetzt in einer umfassenden und rücksichtslosen Initiative von der Linken erläutert werden.
Wie kann die Linke politische Aktion entfachen?
Doch reicht auch die fundamentalste Kritik nicht aus. Die Linke muss darüber hinaus Vorschläge präsentieren, die helfen, die konkrete politische Aktion zu entfachen. In das Zentrum solcher konkreter Alternativen für die unmittelbare Auseinandersetzung gehört die Forderung nach Vergesellschaftung und demokratischer Kontrolle des Finanzsektors. Die Finanzinstitute halten die Hand auf für öffentliche Gelder, d.h. für das Geld der Steuerzahler. Im Gegenzug für die Hunderte Milliarden und Billionen Euro und Dollar sollte der Staat sich nicht mit dieser oder jener Detailforderung nach mehr Transparenz und „Eigenverantwortung“ begnügen, sondern der gesamte Finanzsektor sollte in öffentliche und demokratische Regie übernommen werden. Für die Linke ist dies eine zentrale Forderung auch insofern, als in einer Markt- und Geldwirtschaft im Finanzsektor wesentliche Entscheidungen über den Einsatz der Finanzmittel entweder für bloße oder überwiegende Profitmacherei oder andererseits für eine neue Qualität gesellschaftlichen Wachstums gefällt werden. Eng damit verbunden ist die nahe liegende Forderung, dass die gewaltigen Mittel, die zur Rettung der Auto- und anderer Industrien aufgebracht werden, nicht verpulvert werden, um diese Industrien in den alten Zustand zu versetzen, der zu einem ebenso desaströsen Ende führen würde, nur auf enorm höherer Stufenleiter, denn im Zuge der staatlichen Hilfen soll ein beschleunigte Konzentration in den ohnehin schon vom Großkapital beherrschten Industrien stattfinden. Was liegt näher als der Gedanke, die öffentlichen Mittel nicht zur Auslösung der Großeigentümer aus der selbstverschuldeten Pleite zu verwenden, sondern um die jeweiligen Industrien umzurüsten auf gesellschaftlich sinnvolle Produktion einschließlich der Schaffung ausreichender und guter Arbeitsplätze? Dazu würde an vorderer Stelle die Umschulung der ArbeiterInnen und Angestellten gehören, die ihre Fähigkeiten und ihre Energie heute weithin in natur- und zivilisationsfeindlichen Beschäftigungssystemen vergeuden müssen. Wenn die Linke in Hessen zur Begründung ihrer Zustimmung zu einem Rettungspaket für Opel angibt, sie könne doch nicht die Zehntausende Beschäftigte im Stich lassen, dann muss man ihr entgegenhalten, warum sie die Vergabe der Gelder nicht an die Bedingung knüpft, dass damit eingestiegen wird in die Umrüstung der gesamten Verkehrs- und Transporttechnologie, die schnell und radikal weg muss von ihrer jetzigen klima- und umweltvernichtenden Qualität. Schließlich gehört zu den ebenso radikalen wie aktuell notwendigen Forderungen der Einsatz für eine neue Einkommens- und Vermögensverteilung, einschließlich eines Steuer- und Sozialsystems, das die bisherige Umverteilung von unten oben umkehrt. Nachhaltige Akkumulation verlangt, dies ist eine fundamentale Erfahrung der Pleite des Neoliberalismus, einen stetigen und gewichtigen Zuwachs der Masseneinkommen, d.h. der Reallöhne und -gehälter. Dies bedeutet ineins eine Deckelung der Profite, ist also nur zu haben durch einen kompromisslosen Kampf gegen die Kapitalseite. Das Einknicken der IG Metall im letzten Tarifkampf, wo man sich auf die Linie der Unternehmerseite – „In Krisenzeiten müssen Lohnkosten begrenzt werden“ – eingelassen hat, ist das gerade Gegenteil dessen, was in dieser Strukturkrise sowohl im Interesse der Beschäftigten wie der Ausweitung der notwendigen Massennachfrage geboten wäre. Das Besinnen auf die eigenen Bedürfnisse und die Zurückweisung des alten Unternehmer-Psalms „Wir sitzen alle in einem Boot“ gehören zur Bewältigung der Krise. Wenn in dem Boot weiter die Kapitalisten das Ruder in der Hand behalten, kommen wir aus den Unwettern nicht mehr heraus.
090510