Grußwort von Vandana Shiva (Indien),
der Preisträgerin des „Blue Planet Award 2007“,
zum Festakt anlässlich der Verleihung der internationalen
ethecon-Preise 2008
Liebe Freundinnen und Freunde,
eine der größten Herausforderungen für Solidarität heute ist der Umgang mit den Erfindungen und Konstrukten, die der Kapitalismus geschaffen hat, um uns, unsere Welt und unser Denken zu beherrschen. Indien, das Land, aus dem ich komme, wurde jahrzehntelang von der East India Company beherrscht, einer der ersten Kapital-gesellschaften überhaupt. 1857 gab es unsere erste Unabhängigkeitsbewegung. Der Aufstand scheiterte, aber er brachte das Ende der Herrschaft der East India Company. Heute hat die Herrschaft der internationalen Konzerne für die Menschen in Indien bereits Züge der totalen Kontrolle über Handel und Wirtschaft angenommen.
Das Gesundheitswesen und die Lebensmittelversorgung wird weltweit von fünf Konzernen bestimmt. Aus meiner Sicht ist das Diktatur und keine Wirtschaftsdemokratie. Die „Demokratien“ von heute sind nicht mehr vom und für das Volk, sondern von und für die Konzerne. Wenn wir uns heute mit einer Neubestimmung von Solidarität beschäftigen, dann müssen wir mit dieser Herrschaft der Konzerne umgehen. Wenn wir darüber nicht reden, werden wir nicht die nächsten Schritte auf dem Weg zur Verteidigung unserer Freiheiten und zu unserer Befreiung bestimmen können. Die Konzerne privatisieren die Lebens- und Existenzgrundlagen der Menschen. Sie werden nicht ruhen, bis sie jedes lebende System auf diesem Planeten monopolisiert haben. Dies müssen wir verhindern. Denn nur die Bäuerinnen und Bauern haben das Recht auf Reproduktion von Saatgut. Und wir Inderinnen und Inder und alle Menschen auf der Welt haben das Recht, ihre eigenen Medikamente herzustellen, die hundertmal weniger kosten als die der großen internationalen Unternehmen.
Wir befinden uns mitten in einer Lebensmittelkrise. Die Financial Times und das Wall Street Journal berichten von einem neuen Plan der Weltbank. Aber der neue Plan der Weltbank ist der alte Plan, der diese Ernährungskrise verursacht hat. Nun sollen unsere Steuergelder dafür eingesetzt werden, um genetisch verändertes Saatgut und Düngemittel noch höher zu subventionieren und um sie noch schneller im Süden einzusetzen. Subventioniert werden auch Suez, Vivendi und RWE, die ganz scharf darauf sind, jeden Tropfen Wasser zu privatisieren. Darauf habe ich in meiner Rede für die ethecon-Tagung im letzten Jahr, die ich leider aus Krankheitsgründen nicht persönlich vortragen konnte, bereits hingewiesen. Die Konzerne wollen die Kontrolle über alle Lebensbereiche. Wenn ihnen gelingt durchzusetzen, dass jeder Bauer jährlich Lizenzgebühren für Saatgut bezahlt, dann haben sie einen globalen Markt, der drei Billionen Dollar hergibt. Und deshalb werden sie jede Form des Terrors, des Angstschürens und der Einschüchterung nutzen, um die Bauern zu zwingen, ihre Freiheiten aufzugeben. In Indien haben 200.000 Bauern deshalb schon Selbsttötung begangen.
Auch die Privatisierung von Wasser bringt Milliardenprofite. Ein ungeheures Geschäft mit einem existentiellen Bedürfnis der Menschen, das nun zu Marktpreisen befriedigt werden soll. Was Marktpreise bedeuten, wissen wir. Coca Cola stiehlt jeden Tag zwischen 1,5 und 2 Millionen Liter Wasser. Es brauchte den Mut einer Frau aus Kerala, die sich dagegen wehrte, dass sie jeden Tag noch mehr Meilen laufen musste, um an Trinkwasser zu kommen, während Coca Cola es einfach nahm und verschmutzt zurückließ. Sie hat zusammen mit weiteren zehn Frauen vor sechs Jahren eine Aktion zivilen Ungehorsams vor den Werkstoren von Coca Cola begonnen. Daraus entstand eine zivilgesellschaftliche Bewegung, der es am Ende gelang, die Schließung des Werkes zu erreichen.
In unserem Kampf berufen wir uns auf keinen Geringeren las Mahatma Gandhi, der 1930 den Plan der Briten das Salz in Indien zu monopolisieren, verhinderte. Sie hatten ein Gesetz erlassen, in dem sie uns die Salzgewinnung verbaten. Gandhi ging damals an den Strand, hob das Salz auf und sagte: „Die Natur gibt es umsonst, wir brauchen es für unser Überleben, wir werden damit fortfahren, unser Salz herzustellen. Wir werden eure Gesetze missachten.“ Diese Gesetzesübertretung nannte er Satyagraha – ein ethisches Prinzip, mit dem er zuvor schon in Südafrika seinen Widerstand gegen die Apartheid begründete. Satyagraha bedeutet so viel wie: das unbeirrte Festhalten an dem, was sein soll, weil es wahr ist. Satyagraha ist somit ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam auch gegen herrschende Gesetze.
Jetzt, hundert Jahre später, seid ihr hier und überlegt, wie wir gemeinsam gegen die Diktatur der Konzerne vorgehen können. Unsere Bewegung vereint Bauern und Konsumenten – alle Menschen: Bauern sind nicht länger nur Produzenten, Konsumenten nicht länger nur Esser. Konsumenten und Produzenten zusammen müssen einen Plan entwickeln, der allen Nahrung und Gesundheit bietet. Wenn wir realisieren, dass Vielfalt kein Hindernis für die Solidarität darstellt, werden sich ganz neue Wege eröffnen, auf dieser Welt zu leben. Wir nennen es „Erd-Demokratie“. Darin müssen wir alle mit einbeziehen, denen Nahrung verweigert wird, oder die Opfer ungerechter Kriege sind, die auf diesem Planeten geführt werden. Und während wir alle gemeinsam solidarisch nach einer Lösung suchen, müssen wir unerschrocken gegen den Diebstahl unseres gemeinsamen Reichtums vorgehen. Der letzte Widerstand ist der Widerstand gegen die Angst. Wir müssen klarmachen, dass wir nur die Gesetze anerkennen, die auf Gerechtigkeit und Ökologie basieren und nicht die der Konzerne. Solche Gesetze werden tagtäglich geschaffen, um unser Leben zu kontrollieren und uns davon abzuhalten, aktiv zu werden. Sie reduzieren uns auf die Angst. Das ist Faschismus, das ist das endgültige Ende der Freiheit, die wir so sehr brauchen. Wir können uns nicht leisten, dass das Prinzip der Angst die Welt beherrscht, als letzter Weg, um eine Menschheit, die sich nach Freiheit, Gemeinsamkeit und Solidarität sehnt, zum Schweigen zu bringen.
Liebe Freundinnen und Freunde von ethecon. Ich wünsche eurer Tagung viel Erfolg. Möge sie zu mehr Erd-Demokratie auf unserem gemeinsamen blauen Planeten beitragen.
Herzliche Grüße, Eure
Vandana Shiva
14. März 2009
zurück zu Stiftungstagung 2008
090510