Liebe Leserinnen und Leser,
ich stamme aus einem kleinen Ort am Golf von Mexiko. Wie mein Vater, Großvater und Ur-Großvater habe ich mein Leben lang nach Shrimps gefischt. Zur Umwelt-Aktivistin wurde ich erst als ich begriff, dass die ständig abnehmende Zahl von Fischen und die stetig zunehmende Zahl von Krebserkrankungen die selbe Ursache haben: die chemische Industrie. Nirgendwo in den USA stehen so viele Chemiefabriken auf engstem Raum wie hier – DuPont, BP, Dow Chemicals und wie sie alle heißen. Der Bezirk, in dem ich lebe, hat traurige Berühmtheit erlangt: wir haben die höchste Krebsrate und den größten Schadstoffausstoß im ganzen Land.
Vor zwanzig Jahren erfuhr ich, dass die Firma Formosa Plastics in unserem Distrikt eine extrem gefährliche PVC-Produktion aufbauen wollte. Die Firma hatte in Taiwan wegen Umweltgefährdung ein Produktionsverbot erhalten – und wollte nun unter den selben miserablen Bedingungen bei uns PVC herstellen. Die Behörden von Texas kümmerten sich jedoch nicht um die Risiken für die Umwelt und die Anwohner und erteilten umstandslos eine Produktionsgenehmigung. Nicht einmal die bestehenden Gesetze wurden eingehalten.
Zunächst schrieb ich Petitionen an das Unternehmen, die Regierung und die Presse und wies auf die Probleme hin. Erst als ich merkte, dass meine Bedenken nicht ernstgenommen wurden und die staatlichen Behörden lediglich als Erfüllungsgehilfen der Konzerne auftraten, griff ich zu radikaleren Protestformen. Ich trat dreimal in Hungerstreik, organisierte Demonstrationen und kettete mich an den Schornstein einer Fabrik. Hinter vorgehaltener Hand sagen mir selbst die Stadtverordneten, dass meine Kritik berechtigt ist – sie dürften dies jedoch nicht laut sagen, da sie keinen „politischen Selbstmord“ begehen wollten. Einmal erhielt ich sogar Material von den Inspektoren der Umweltbehörde, da sie die Ergebnisse ihrer Untersuchungen nicht veröffentlichen durften. Kaum jemand aber traut sich, offen zu mir zu halten, denn die Konzerne kontrollieren alles in unserer Gegend – von den Banken bis zu den Universitäten und den Medien.
Als ich erfuhr, dass Formosa Plastics die Genehmigung erhalten hatte, hochgiftige Abwässer in den Golf von Mexiko zu leiten, entschied ich mich zum äußersten: ich beschloss, mein Fischerboot über dem Abwasserrohr der Fabrik zu versenken. Dies war eine schmerzvolle Entscheidung, schließlich hatte ich jahrelang meinen Lebensunterhalt mit dem Boot verdient. Es war, wie wenn ein Landwirt seinen Hof anzündet. Aber da ich keine Dritten schädigen oder gefährden wollte, blieb mir nur diese ultimative Form des Protests, um meiner Forderung nach „Null-Emissionen“ Nachdruck zu verleihen. Und ich hatte Erfolg: meine Aktion wurde sogar in Houston diskutiert und tatsächlich erhielt Formosa die Auflage, die Emissionen drastisch zu senken. Kurze Zeit später stellte sich sogar noch ein Erfolg ein: Auch der Firma Alcoa Aluminium wurde die Einleitung giftiger Abwässer verboten.
Mittlerweile kämpfe ich auch noch an anderen Fronten. Momentan engagiere ich mich gegen die Quecksilber-Verschmutzung der Buchten und versuche, die Dörfer vor den Giften der Kohlekraftwerke zu schützen. Die Kohlekraftwerke waren auch der Grund meines letzten Hungerstreiks, denn Sie machen Texas zum weltweit größten Produzenten von klimafeindlichen Gasen.
Auch wenn viele Auseinandersetzungen ohne Erfolg blieben, weiß ich heute, dass man mit genügend Engagement auch gegen übermächtige Gegner etwas erreichen kann.
Ich bin überglücklich, bald nach Deutschland zu kommen, um den „Blue Global Award“ entgegenzunehmen und über meinen Kampf zu berichten zu können.
Ihre Diane Wilson
Die Fischerin Diane Wilson aus Seadrift, Texas ist die bekannteste amerikanische Chemie-Aktivistin. Sie ist 57 Jahre alt und hat fünf Kinder.
Weiterführende Informationen:
amerikanische Webseite ihres Verlages.
Artikel über Diane Wilson im Greenpeace-Magazin.
Hier können Sie sich einen Film-Clip mit Diane Wilson ansehen (lange Ladezeiten möglich!).
Pressemeldung vom 12. Januar 2006 zur Verhaftung von Diane Wilson
Mehr zu Diane Wilsons Protestaktion gegen Dow Chemical (in englischer Sprache).