Dr. Vandana Shiva: Das Leben schützen

Von der Quantenphysikerin zur Verfechterin von Nachhaltigkeit und Biodiversität

Das Leben schützen

Indische Aktivistin für Menschenrechte und Umweltschutz – Vandana Shiva – mit dem ethecon Preis „Blue Planet Award“ ausgezeichnet.

Ein Bericht von Elena Martin Casais

Schon als Kind wollte Vandana Shiva, 1952 in einem kleinen Dorf am Fuß des Himalaya geboren, Wissenschaftlerin werden, wie ihr Vorbild Albert Einstein.

Einige Jahre später scheint sich dieser Traum für die aufgeweckte Inderin zu erfüllen. Als promovierte Quantenphysikerin kehrt sie aus Kanada in ihre Heimat Indien zurück. Doch mit der Armut, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung vor Ort konfrontiert, sieht sie sich verpflichtet, als Umweltschützerin und Menschenrechtlerin zu arbeiten, statt ihren Beruf als Physikerin auszuüben.

Nach erster Tätigkeit in interdisziplinärer Forschung von Technik, Umwelt und Politik am „Indian Institute of Science“ und am „Indian Institute of Management“ in Bangalore gründet sie 1982 – in dem ehemaligen Kuhstall ihrer Mutter – das unabhängige Institut „The Research Foundation for Science Technology and Ecology„ in Dehra Dun, das sie heute noch leitet.

Anstatt sich mit Quantenphysik und Elementarteilchen zu beschäftigen, studiert die Trägerin des alternativen Nobelpreises die zahlreichen Baumarten, Waldpflanzen und die traditionelle Landwirtschaft ihres Landes.

Von den Menschen lernen

Seite an Seite kämpft Vandana Shiva mit der indigenen Bevölkerung in der ersten indischen Umweltvereinigung, der Chipko-Bewegung. Die unbelesenen Bauersfrauen aus dem hohen Himalaja lehren sie, durch ihren Kampf, erneut den Wert der Natur zu erkennen und die Dringlichkeit diese verteidigen zu müssen. Aber noch etwas nimmt Vandana von diesen Frauen mit auf den Weg. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten hauptsächlich die Bauersfrauen das Saatgut, das den Bedingungen des Bodens und der Umgebung optimal angepasst wurde, durch den Tausch und die Kreuzung der Samen entwickelte sich eine erstaunliche biologische Vielfalt (Biodiversität). Schätzungen zufolge gab es allein in Indien mehr als 50 000 verschiedene Reissorten. Heute kann man mit viel Mühe in etwa 300 traditionelle Sorten finden, von internationalen Unternehmen wird vielleicht noch eine Handvoll exportiert.

Seit Jahren setzt sich Vandana Shiva für Kleinbauern in Indien ein, die wegen der globalen Gentechnikindustrie nicht mehr über ihr eigenes Saatgut bestimmen können. „Bei jedem Anliegen, für das ich mich in den vergangenen 20 Jahren als Umweltaktivistin und biologisch orientierte Intellektuelle engagierte, musste ich feststellen, dass das, was die industrielle Ökonomie als ‚Wachstum‘ bezeichnet, in Wahrheit eine Art von Diebstahl an der Natur und Menschen ist“, so die Aktivistin.

Ihr Einsatz für selbstbestimmte Entwicklungswege, der als indische Graswurzel-Initiative begann, führte sie ausgerechnet in die kritisierten internationalen Industrie- und Handelskreise.

Erst mit der Globalisierung geriet dieser vielfältige Diebstahl ins Bewusstsein. Mit dem Abschluss der Uruguay-Runde im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) 1994 und der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) sei ein institutioneller und rechtlicher Rahmen für Unternehmenswachstum, das auf Diebstahl an Mensch und Natur gründet worden. „Das WTO Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) kriminalisiert die Einlagerung eines Teils der Ernte für die Aussaat im nächsten Jahr ebenso wie die uralte Praxis der Bauern, untereinander Saatgut auszutauschen“, so die Globalisierungskritikerin. Das Agrarabkommen legalisiere zudem die Überschwemmung aller Länder mit gentechnisch veränderten Nahrungspflanzen und kriminalisiere den Schutz der biologischen und kulturellen Diversität, auf der die Vielfalt der Ernährungssysteme beruhe.

Das Leben ist in seiner ganzen Verschiedenheit und Andersartigkeit für Shiva ein zu schützendes Gut. Deshalb engagiert sich die Buchautorin für das Leben, die Artenvielfalt und die Souveränität der menschlichen Gemeinschaften.

Demokratie und Artenvielfalt gegen Gentechnik und Biopiraterie

Vandana Shivas Verständnis von Demokratie (Earth-Democracy) geht weit über die herrschende westliche Definition hinaus. Sie fordert neben den klassischen Rechten wie prinzipielles Wahlrecht für alle auch Freiheiten in der Gestaltung individueller Lebensweisen und die Souveränität der Bevölkerung über die Wassergüte, die Nahrungsmittel und die Qualität der Kleidung zurück. Dabei beruft sich Shiva auf die universelle Gültigkeit ökologischer Naturgesetze und stellt die internationalen Handelsabkommen prinzipiell in Frage.

Ihre Arbeit ist für viele auch deshalb überzeugend, weil sich Vandana nicht mit der Aufdeckung und Anklage bestehender Missstände begnügt sondern Alternativen zur Monopolisierung von Leben und Lebensressourcen aufzeigt. Sowohl durch Widerstand als auch durch Erarbeitung kreativer Alternativen, setzt sie, unter anderem Mitglied des Weltzukunftsrats, der zentralisierten Macht internationaler Konzerne dezentrale Strukturen auf der Basis friedlicher Koexistenz entgegen.

Mit der 1991 von ihr gegründeten Navdanya-Bewegung, setzt sie sich für die Bewahrung des Saatguts und der Freihaltung der Landwirtschaft von Monopolkontrolle ein. Navdanya hat im Laufe der Jahre zahllose Initiativen und Projekte zur Sicherung natürlicher Ressourcen unterstützt. Vandana Shiva wird am fünften November 55 Jahre alt. Ihr unermüdlicher Kampf für eine gerechtere Welt dauert bereits 30 Jahre, in denen sie viel erreicht hat.

Alles ist mit allem verbunden

Auch wenn der Einsatz für eine ökologische Vielfalt und einen gerechten Weltmarkt im Moment das Leben Vandana Shivas bestimmen, hat die Physik immer noch Bedeutung für sie. Sie ist dankbar, dass ihre Ausbildung als Quantenphysikerin ihr geholfen hat, die komplexen Fragestellungen, mit denen sie sich beschäftigt, zu bewältigen. Erkenntnisse aus der Quantentheorie überträgt sie auf das ökologische Handeln des Menschen. Alles sei schließlich mit allem verbunden, sagt die Umweltschützerin. Einen Wunsch hegt Vandana Shiva noch: wenigstens im Ruhestand zur Physik zurückkehren zu können und wieder ihrer Leidenschaft zu frönen.

Am ersten Dezember würdigt „ethecon – Stiftung für Ethik & Ökonomie“ mit der Verleihung des diesjährigen „Blue Planet Award“ Einsatz und Kampf der indischen Aktivistin VANDANA SHIVA.

Tagung

„Wirtschaftskriminalität im Spannungsfeld Ethik & Ökonomie“
ufaFabrik
Viktoriastr. 10/1812105 Berlin
Samstag, 1. Dezember 2007