Auszug aus dem Grußwort zur Verleihung des Internationalen Black Planet Award 2014
von Dieu Hao Abitz
Ich lebe in Deutschland seit 1974. Mit meinem Geburtsjahr von 1953 lebe ich hier länger als ich in Vietnam gelebt habe. Die vietnamesischen Geschichten aus den dunklen Kriegsjahren verfolgen mich noch heute.
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Unsere von Freunden aus Deutschland geschenkte Kuckucksuhr schlug drei in der Nacht!
Ich wälzte mich hin und her im Bett. Ich schabte meinen Rücken auf den harten Holzlatten des Bettes. Ich kratzte mich am Hals. Ich kratzte an meinen Beinen. Ich ging in das Badezimmer und schaute auf die großen, breit angeschwollenen roten Flecken am Hals, an den Beinen, am Bauch und an den Armen. Einige Stellen sind durch das Kratzen blutig geworden.
Der Anblick und das Jucken wurden mir unerträglich. Ich heulte und schluckte unentwegt. Wie sollte ich morgen in die Schule gehen? Was sollen die Leute sagen? 1970 war Ich gerade 17 Jahre alt, in der Blüte meiner Mädchenzeit.
Antihistamin-Tabletten halfen mir dadurch, dass ich die ganze Zeit schlief und müde war.
War es in Ordnung, dass ich die Öffentlichkeit mied?
Ich beobachtete, dass ich diese heftige allergische Reaktion bekam, nachdem ich Fische, Krabben, Hummer und Meeresfrüchte gegessen habe. Sollten Fische Allergie auslösen? Fische sowie Fischsauce gehören zu der Grundnahrung in Vietnam. Das habe ich als Kind immer gegessen.
Warum soll ich mit 17 Jahren darauf allergisch reagieren?
Wer kann mir erklären, dass ich, seitdem ich in Deutschland bin, d.h. seit 1974, keine solche Allergie mehr bekomme, obwohl ich viel Fisch und Meeresfrüchte esse?
Gibt es Unterschiede zwischen Fischen in Vietnam und Fischen in Deutschland?
JA,
Fische und Meeresfrüchte in Vietnam sind stark mit Dioxin verseucht.
Zwischen 1962 und 1971, fast zehn Jahre, wurden 45 Millionen Liter Agent Orange, 150 Mal so viel wie das Wasser im Badeschiff in Berlin, über das Land Vietnam versprüht. Diese Menge reichte zum Vernichten einer Fläche von fast 400.000 Quadratkilometer Regenwald bzw. Ackerfläche. Diese Fläche ist größer als Deutschland (357.104,07 Quadratkilometer).
Das Schlimmste daran war die Verunreinigung mit 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin in Agent Orange. Dieses TCDD wird als „die giftigste vom Menschen hergestellte Verbindung“ bezeichnet. Ein Super-Dioxin! 80 Gramm davon können alle Einwohner New Yorks töten, was etwa 19 Millionen sind. Es waren ca. 366 Kilogramm der mörderischen Substanz, die über Urwald und Reisfeldern versprüht wurden, auch über die Köpfe der Menschen, die sich dort aufhielten, egal ob sie Nord- oder Süd-Vietnamesen oder amerikanische Soldaten waren. Es war wie die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki –nur ohne Explosion, ohne Atompilz, ohne Brand.
Unmittelbare Schäden bei Menschen waren:
Chlorakne, berühmtes Beispiel ist das Gesicht von Wiktor Juschtschenko, welcher während der Präsident-Kandidatur in Ukraine mit Dioxin vergiftet wurde.
Anhaltende Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Depressionen, eine allgemeine Veränderung der Psyche und Organschäden wie Leberschäden mit tödlichen Folgen.
Mir ist jetzt bewusst, dass meine Leber damals 1970 im Begriff war, irgendeine Form von Schaden zu nehmen.
Dioxin wird am Ende der Nahrungskette in den Fischen angereichert. …
Welche Langzeitschäden werde ich haben?
Umso mehr bin ich froh, dass meine beiden Töchter heil zur Welt gekommen sind.
In Vietnam leben zurzeit zahlreiche verkrüppelte Menschen als Folge der Verseuchung mit Dioxin. Die Geschichte gerät in Vergessenheit, wenn wir sie nicht wiederholt in die Öffentlichkeit bringen.
Ich nehme jede Chance wahr, um sie in Erinnerung zu rufen. So habe ich mit CHAO e.V. zusammengearbeitet. Ich konnte Erik Hölperl, ein Student der Bauhaus-Universität Weimar, überzeugen, eine Studienarbeit über Agent Orange in Vietnam zu verfassen. Er hat aus eigenen hart erarbeiteten Mitteln eine Reise nach Vietnam gemacht und eine Fotoreportage erstellt. Er stellt fest:
„…
Nach offiziellen Schätzungen sind noch immer etwa eine Million Vietnamesen von den Spätfolgen betroffen. Aufgrund der vielen von Agent Orange besonders verseuchten Gebieten ist es auch heute noch für jedermann möglich, mit Dioxin in Kontakt zu kommen.“
Ist das nicht ein wichtiger Grund, nach 50 Jahren weiterhin darüber Publik zu machen?
Jetzt juckt es mich mehr, darüber zu reden. Wir wünschen uns, dass das hilft.
Dieu Hao Abitz