Aktionärsfeudalismus bei Fukushima-Konzern
Schmähpreisübergabe an TEPCO-Verantwortliche in Tokio
27. Juni 2012, Tokio. Tausende von AktionärInnen strömten in die Halle zur Hauptversammlung des TEPCO-Konzerns. Des Konzerns, der für die atomare Katastrophe in Fukushima verantwortlich ist. Unter den Menschenmassen befanden sich auch deutsche AktionärInnen von ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie, die den Internationalen ethecon Black Planet Award 2011 an den Vorstandsvorsitzenden Tsunehisa Katsumata, den ehemaligen Konzern-Präsidenten Masataka Shimizu und den gegenwärtigen Präsidenten Toshio Nishizawa sowie die GroßaktionärInnen des Energieversorgungs-Konzerns überbringen wollten. Mit allen Mitteln versuchte TEPCO im Vorfeld der HV zu verhindern, dass der Preis in die HV gelangt. Doch die große Präsenz in den japanischen Medien machte den Konzernstrategen einen Strich durch die Rechnung. Trotz eines riesigen Aufgebots von Sicherheitskräften konnten die ethecon-VertreterInnen letztendlich in den Saal. Der Konzern griff zum letzten Mittel: In feudalistisch anmutender Selbstherrlichkeit wurden die Medien ausgeschlossen und die ethecon-VertreterInnen im Saal nicht an die Mikrofone gelassen. Der Preis wurde daraufhin vor einem Meer von Kameras und Mikrofonen vor dem Saal symbolisch übergeben. Die geschmähten Manager und Großaktionäre konnten nicht verhindern, von ethecon für ihre verbrecherische Schuld an der wohl größten Atomkatastrophe in der Menschheitsgeschichte an den Pranger gestellt zu werden.
In den Jahren 2009 bis 2011 erreichten tausende von eMails ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie. Menschen und Organisationen aus aller Welt schlugen den japanischen TEPCO-Konzern für den seit 2006 jährlich verliehenen Internationalen ethecon Black Planet Award vor. Nachdem im März 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima eintrat, wurden drei Manager und die Großaktionäre des Konzerns schließlich nominiert. Im August 2011 fiel die Entscheidung, die am 1. September 2011 verkündet wurde: Der Internationale ethecon Black Planet Award 2011 ging an die führenden Manager und Großaktionäre des japanischen Energieversorgungs-Konzerns TEPCO. In der Begründung heißt es zusammenfassend: „Verantwortlich für Entscheidungen und Handeln des TEPCO-Konzerns sind der Vorsitzende Tsunehisa Katsumata, der ausgeschiedene Präsident Masataka Shimizu, der jetzige Präsident Toshio Nishizawa sowie die GroßaktionärInnen. Auf deren Konto gehen die Menschheitskatastrophe in Fukushima, der Ruin der menschlichen Gesundheit und die Zerstörung der Umwelt im großen Stil, ja selbst der Tod vieler Menschen. Sie stellen nicht nur eine Gefahr für den Frieden und die Menschenrechte dar, sondern auch für die Demokratie, die Ökologie und die Menschheit insgesamt. Sie handeln zum Vorteil persönlicher Macht, privater Profite und eigener Bereicherung. Dafür treten sie Moral und Ethik mit Füßen und nehmen den Untergang der Erde als „Schwarzer Planet“ in Kauf. ethecon sieht im ihrem Handeln einen schockierenden Beitrag zu Ruin und Zerstörung unseres Blauen Planeten. Für diese erschreckende Missachtung und Verletzung menschlicher Ethik schmäht ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie die verantwortlichen Manager sowie die GroßaktionärInnen des TEPCO-Konzerns mit dem Internationalen ethecon Black Planet Award 2011.“ Am 19. November 2011 wurde der Schmähpreis in einem großen öffentlichen Festakt in Berlin mit mehr als 200 TeilnehmerInnen verliehen.
Am 24. Juni 2012 erreichte die Schmähtrophäe – ein billiger von einem Jugendlichen gestalteter Globus – japanischen Boden. In den drei Tagen bis zur Hauptversammlung reiste der Award viele Hundert Kilometer durch Japan und wurde auf Treffen und Veranstaltungen mit japanischen Bündnispartnern vorgestellt. Die Medienpräsenz des Preises stieg von Tag zu Tag. Zahlreiche japanische Organisationen unterstützten die Stiftung ethecon bei ihrer Tour aktiv und aufopferungsvoll. Besonders beeindruckend der Dachverband der Anti-AKW-Initiativen NAZEN, die „Mütter von Fukushima“, die Gewerkschaft Doro-Shiba, das Protestdorf vor dem Wirtschaftsministerium in Tokio sowie Shinbashi Action. Bis Mittwochmorgen schaffte es die Schmähung durch ethecon in alle führenden Printmedien des Landes.
Die an den Pranger gestellten Manager und GroßaktionärInnen versuchten mit allen Mitteln, ethecon und den Black Planet Award aus der HV am 27. Juni herauszuhalten. Im Vorfeld wurde ethecon gegenüber der Termin der HV monatelang verschwiegen. Dann wurde behauptet, ethecon hätte gar keine Aktien – eine glatte Lüge. Schließlich versuchte es der Konzern mit einem Großaufgebot von Sicherheitskräften. Doch ca. 150 DemonstrantInnen ließen sich davon nicht abhalten, spannten Transparente und verteilten Flugblätter. Der Druck hunderter Kameras, die Unterstützung durch prominente AktionärInnen – all das brachte die Konzerntaktik zu Fall und erzwang die Zulassung der ethecon-AktionärInnen.
Da griff TEPCO zum letzten Mittel: Sie schlossen in feudalistisch anmutender Selbstherrlichkeit die Medien kurzerhand von der Diskussion im Saal aus. Die Übertragungsbildschirme erloschen, der Ton wurde abgeschaltet. Im Saal selbst ging der Versammlungsleiter gleichermaßen diktatorisch vor. Wortmeldungen mussten wie in der Schule von erwachsenen AktionärInnen per Handzeichen abgegeben werden, der TEPCO-Vorsitzende, auf einem erhöhtem Sitz über den Köpfen der Versammlung thronend, entschied willkürlich von Fall zu Fall, wer reden durfte und wer nicht. Dutzende redewillige AktionärInnen wurden derart von den Mikrofonen ferngehalten, darunter auch die ethecon-VertreterInnen.
Ihre Schmähung konnten die mit dem ethecon Black Planet Award 2011 bedachten Manager dennoch nicht verhindern. ethecon übergab kurzerhand den Schmähpreis symbolisch vor dem Saal, vor zahlreichen Kameras und Mikrofonen.
Die Schmähtrophäe wird im Land bleiben, die ethecon-VertreterInnen werden morgen und übermorgen in Tokio demonstrieren, den Vorstandsvorsitzenden Tsunehisa Katsumata, den ehemaligen Konzernpräsidenten Masataka Shimizu und den gegenwärtigen Präsidenten Toshio Nishizawa sowie die GroßaktionärInnen des Energieversorgungs-Konzerns an den Pranger stellen sowie den mit dem Schmähpreis verbundenen Forderungen öffentlichen Nachdruck verleihen:
- Die verantwortlichen TEPCO-Manger sowie die hinter ihnen stehenden GroßaktionärInnen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
- Die Schäden müssen aus dem Vermögen der GroßaktionärInnen sowie der gesamten Atomindustrie beglichen werden.
- Es darf in Japan und andersow kein abgeschaltetes Kernkraftwerk wieder hochgefahren werden.
- Sämtliche Kernkraftwerke müssen weltweit abgeschafft werden.
- Sämtliche Kernwaffen müssen vernichtet werden.
- Das Gebiet der Nuklearkatastrophe in Fukushima muss zum WeltUNkulturerbe erklärt werden.
- Die Millionen von Menschen, die in der Präfektur gezwungen werden, in radioaktiv verstrahlter Umgebung zu leben, müssen sofort evakuiert werden.
- Die täglichen Lügen von Atomkonzernen und den mit ihnen verbundenen Bürokraten, Politikern, WissenschaftlerInnen und Medien müssen sofort gestoppt werden.
Die ausführliche Begründung für die Verleihung des Internationalen Black Planet Award 2011 findet sich im Dossier über die TEPCO-Verantwortlichen im Downloadbereich der Webseite www.ethecon.org, eine Kurzfassung im in deutsch, englisch, spanisch und japanisch verbreiteten Offenen Brief. Darin fordert ethecon die Haftung der Großaktionäre und die Bestrafung der Entscheidungsträger des Energiekonzerns. Diese trafen aus reinen Profit-Gründen Fehlentscheidungen, ohne die es gar nicht erst zu der Nuklearkatastrophe hätte kommen können.
Die Stiftung ethecon ist vor allem durch die jährliche Vergabe ihrer Internationalen ethecon Blue bzw. Black Planet Awards in Berlin bekannt. Mit den Positivpreisen hat ethecon in den vergangenen Jahren Diane Wilson/USA (2006), Vandana Shiva/Indien (2007), José Abreu und Hugo Chávez/Venezuela (2008), Uri Avnery/Israel (2009), Elias Bierdel/Österreich (2010) sowie Angela Davis/USA (2011) ausgezeichnet. Die Schmähpreise gingen bisher an die EigentümerInnen bzw. AktionärInnen und das verantwortliche Management der Konzerne Monsanto/USA (2006), Nestlé/Schweiz (2007), Blackwater (Xe)/USA (2008), Formosa Plastics Group/Taiwan (2009), BP/Großbritannien (2010) und Tepco/Japan (2011).
ethecon ist im Gegensatz zu den vielen Konzern-, Familien-, Kirchen-, Partei- und Staatsstiftungen eine der wenigen Stiftungen „von unten“, die sich mit ihren derzeit 30 ZustifterInnen und dem Leitmotiv „Für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung!“ in der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen sieht. Die noch junge Stiftung finanziert sich über Zustiftungen, Spenden und Fördermitgliedschaften.