Schmährede in Form eines fiktiven Interviews zwischen Erich Schöndorf (BCC) und Peter Brabeck-Letmathe (NESTLÉ) anlässlich der Verleihung des Black Planet Award
-es gilt das gesprochene Wort-
ES: Verehrter Herr Brabeck-Letmathe, die „ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie“ hat Ihnen heute den Black Planet Award für herausragende Leistungen bei der Zerstörung unseres Planeten verliehen. ethecon wirft Ihnen eine aggressive Vermarktung Ihrer Produkte vor sowie rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur. Wollen Sie das so unkommentiert stehen lassen?
BL: Dieser Vorwurf, Herr Schöndorf, scheitert doch schon im Vorfeld an der Wortwahl. Unser Firmenname NESTLÉ hat erkennbar nichts mit Aggression oder Rücksichtslosigkeit zu tun. Er ist die Verkleinerungsform von Nest. Das kleine Nest hält und steht somit für Heimeligkeit, für Schutz und Fürsorge. Das ist so ähnlich wie bei dem Innenminister Ihres Landes, Herrn Schäuble. Übersetzt heißt das „Der kleine Schäuble“ und ist Synonym für eine sanfte Politik.
ES: Entschuldigung, aber halten Sie Online-Durchsuchungen für eine sanfte Politik?
BL: Keine Frage! Richtig ausgeführt, merkt der Betroffene davon doch gar nichts.
ES: …und das Abschießen gekaperter Flugzeuge?
BL: Zwischen dem finalen Treffer und dem ersten Bodenkontakt liegen doch nur Sekunden. Hinrichtungen zum Beispiel in Texas dauern markant länger.
ES: Es geht aber doch nicht vorrangig um die Wortwahl. ethecon hat seine Vorwürfe an konkreten Beispielen festgemacht. Zum Beispiel an NESTLÉS Umgang mit seinen Arbeitern insbesondere in der 3. Welt. In Kolumbien sollen paramilitärische Verbände im Auftrag des Unternehmens gewerkschaftlich organisierte Arbeiter getötet haben.
BL: In Kolumbien, Herr Schöndorf, herrscht Krieg. Da schießt jeder auf jeden. Da geraten natürlich auch Unschuldige zwischen die Fronten. Und darunter befinden sich naturgemäß auch Gewerkschafter. Obwohl ich damit nicht sagen will, dass die per se unschuldig sind.
ES: Um in Südamerika zu bleiben: In Brasilien kauft NESTLÉ zahlreiche Quellen auf. ethecon hält das für verwerflich und sagt: Wasser ist ein lebenswichtiges Gut, der freie Zugang zu sauberem Wasser ist ein Menschenrecht, Wasser darf nicht privatisiert werden.
BL: Wasser ist ein Lebensmittel und wie jedes andere Lebensmittel auch sollte es einen Marktwert haben. Und weil es, wie Sie zu Recht sagen, ein wertvolles Lebensmittel ist, sollte der Erwerber auch den vollen Wert bezahlen – wenn Sie dieses Wortspiel entschuldigen.
ES: Aber Ihre Wasserpolitik führt dazu, dass Regierungen nicht ausreichend in eine funktionierende öffentliche Wasserversorgung investieren. Leidtragende sind wie immer die Armen, die sich das NESTLÉ-Flaschenwasser nicht leisten können und aus der Kloake trinken müssen!
BL: Auch die 3. Welt muss lernen, Prioritäten zu setzen. Dann essen sie eine Tortilla weniger und kaufen sich dafür eine Flasche NESTLÉ-Wasser.
ES: …die noch nicht einmal Mineralstoffe enthält
BL: Aber wir haben unser Wasser doch mit gutem Grund demineralisiert. So schmeckt es überall gleich. Egal ob es der Campesino in Mexiko trinkt oder der Aidspatient in Soweto. Alle wissen: Es ist Wasser von NESTLÉ. So fühlen sich auch die Armen der Welt ernst genommen. Und unter dem gemeinsamen Dach eines Weltkonzerns spüren sie die Faszination einer globalen Solidarität.
ES: Den Kaffeemarkt dominieren Sie ebenfalls und zahlen den Bauern Preise, die unter den Produktionskosten liegen.
BL: Aber es sind dieselben Bauern, die mittels Überproduktion den Markt ruiniert haben, ganz besonders in Äthiopien. NESTLÉ hat nichts gegen Neger. Es ist ein durchaus sympathischer Menschenschlag und er hat beachtliche Fähigkeiten, wie man bei den Olympischen Spielen sehen kann. Allerdings, wirtschaftlich und intellektuell hat er unverkennbar Defizite. Es wäre für ihn besser, in der Universität zu pauken anstatt vor seiner Hütte zu trommeln – wenn Sie mir auch dieses Wortspiel entschuldigen würden. Unser Fachmann für Landwirtschaft, der verehrte Herr Hans Joehr, hat einmal ausgerechnet, dass fast die Hälfte der Kleinbauern vom Markt verschwinden müssten, wenn sich der Kaffeemarkt wieder erholen wollte.
ES: Wohin denn verschwinden?
BL: Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Der deregulierte Markt lässt sich bestimmt etwas einfallen. Wie in Kolumbien. Da produzieren jetzt die Kaffeebauern Kokain.
ES: Im Äthiopischen Hochland wachsen aber keine Kokasträucher.
BL: Es muss nicht immer Koka sein. Hat Äthiopien mit Eritrea nicht noch eine Rechnung offen? Frustrierte Bauern sind hervorragende Soldaten.
ES: Sie benutzen auffällig oft das Wort „Markt“.
BL: Und Ihr Wortschatz wird erkennbar dominiert von Begriffen wie „Armut, Natur und Gerechtigkeit“.
ES: Das passt Ihnen nicht?
BL: Was heißt passen? Sie gehören einfach nicht hierhin. Ökonomie hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Ökonomie orientiert sich am Profit. Das ist der alleinige Maßstab.
ES: Ethik gibt es nicht in Ihrem Unternehmen?
BL: Ethik gehört auf die Spielwiese der Philosophie, ist etwas für Menschen die vom Staat alimentiert werden ohne dass sie in irgend einer Weise produktiv sind. Ökonomie, Markt, Profit, diese Dinge orientieren sich letztlich an den Gesetzen der Evolution: Der Stärkere gewinnt, der Schnellere, der Clevere. Archaischer geht es nicht mehr. Diese Logik braucht keine Rechtfertigung. Da sind wir auf der sicheren Seite.
ES: Vielleicht stellen sich ja mit dem Begriff „Kindersterblichkeit“ bei Ihnen erste Skrupel ein. Was man Ihnen am meisten übel nimmt, ist Ihre aggressive Vermarktung von Milchpulver in Ländern der 3. Welt, insbesondere Afrika. Man schätzt, dass dort jährlich ca. 1.5 Millionen Kinder sterben, weil ihre Mütter sie nicht mehr stillen.
BL: Halt, bevor Sie das näher erläutern: Woher stammt diese Zahl? Darf ich spekulieren? Wahrscheinlich von „Ärzte ohne Grenzen“ oder einer anderen kommunistischen Splittergruppe. Sehen Sie, in Deutschland hatten Sie ja ein vergleichbares Problem. Auschwitz. Wie viel Menschen sind dort umgekommen? 300.000 oder 3 Millionen oder 6 Millionen? Darüber streitet man immer noch, wie man auf der Homepage der NPD nachlesen kann. Ein geflügeltes Wort in unserem Unternehmen lautet schon lange: Wenn Zahlen 6 oder mehrstellig werden, laden sie zur Manipulation geradezu ein.
ES: Die Zahlen sind seriös! Die Kinder sterben, weil das Milchpulver mit verschmutztem Wasser zubereitet wird, unzulässig verdünnt wird oder weil es den Kindern nicht wie Muttermilch einen ausreichenden Immunstatus vermittelt.
BL: Berücksichtigt man dabei auch die Tatsache, dass der Kindstot in Afrika zum Alltag gehört, manche sagen, er ist Teil der afrikanischen Kultur? Ich sage nur Aids, Umweltkatastrophen und Verkehrsunfälle,
ES: Verkehrsunfälle? Afrika hat weniger Autos als Nordrheinwestfalen!
BL: Dafür aber keinen TÜV! Wenn Sie erlauben darf ich aber noch einmal zurückkommen auf ihr Milchpulver-Argument, das uns sicher einiges Kopfzerbrechen bereitet hat. Muttermilch immunisiert, sagen Sie. Aber tut dies unser Produkt nicht auch? Vor allem wenn es mit verschmutztem Wasser zubereitet wird?
ES: Wie soll ich das verstehen?
BL: In unserem Kulturkreis gibt es das Wort: „Dreck reinigt den Magen“. Gemeint ist die immunisierende Wirkung der Verunreinigung. Ich will mal so sagen: Wer unser Milchpulver überlebt, ist gegen alles gefeit.
ES: In einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ haben Sie sich für die Gentechnik ausgesprochen. Mit einem provokanten aber nicht näher belegten Argument. An Genprodukten ist noch niemand gestorben, haben Sie gesagt, an Bioprodukten schon. Können Sie Namen von Opfern nennen?
BL: Sie provozieren gerne, Herr Schöndorf. Aber denken Sie einmal daran, dass auf den ungespritzten Getreidefeldern der Biobauern das von einem Pilz hervorgerufene hochtoxische Mutterkorn gedeiht, das den Konsumenten schon in geringster Dosis umbringt. Wir sprechen in unserem Unternehmen in diesem Zusammenhang gerne von der Pest des biologischen Irrwegs. Das ist auf den pilzresistenten Genfeldern mit Sicherheit kein Thema!
ES: Herr BL, zum Schluss noch eine eher persönliche Frage. Herr Köhler-Schnura hat mir heute morgen vertraulich gesagt, sie beide hätten eine Gemeinsamkeit: Nämlich ihren Doppelnamen. Allerdings käme bei Ihnen noch etwas hinzu: Ihre Doppelmoral. Stimmt das?
BL: Herr Schöndorf, Satire ist das eine und Rufmord das andere. Ich weise diese Äußerung mit Entschiedenheit zurück. Ich habe keine Doppelmoral – ich habe gar keine!
ES: Herr BL, ich danke Ihnen für dieses Gespräch
BL: Ich danke Ihnen!
ES: Und ich danke dem Auditorium für seine bewundernswerte Geduld.