„Der kleine Japaner. Im Land der aufgehenden Sonne und abrauchenden Atomkraftwerke“
So lautet der Titel des Buches, das der ZDF-Korrespondent Martin Niessen über seine Erfahrungen mit dem japanischen Alltag gemacht hat. Er kam, nachdem Japan im März 2011 von der Dreifach-Katastrophe Erdbeben, Tsunami und Super-GAU getroffen wurde, und blieb 14 Monate. Selten politisch korrekt, oft ironisch, manchmal sarkastisch, aber nie ohne Sympathie für die Menschen berichtet er von den Tücken des Alltags in dem vor allem durch die atomare Katastrophe von Fukushima verunsicherten Land.
Die Mitglieder der ethecon-Delegation, die im Juni 2012 den Internationalen ethecon Black Planet Award 2011 an die für Fukushima verantwortlichen TEPCO-Manager übergeben haben, lernten Martin Niessen bei der Berichterstattung über die Aktionärsversammlung von TEPCO in Tokio kennen. Entstanden ist dabei ein anderthalb Minuten langer Bericht über die Schmähpreis-Übergabe, die immer noch bei der ZDF-Mediathek unter dem Suchwort „Schmähaward“ zu finden ist. Martin Niessen ist außerdem in unserer Dokumentation „TEPCO – Sie scheuen den Pranger“ zu sehen – bei der lautstarken Auseinandersetzung mit einem Sicherheitsbeauftragten von TEPCO, der ihn davon abhalten wollte, ein Interview mit dem ethecon-Vorstand Axel Köhler-Schnura zu führen.
Dementsprechend liefern wir hier zwei Textauszüge aus dem Buch, in denen es um unsere Schmähpreisträger von TEPCO geht:
Und wenn mal etwas außerhalb der Regel passiert, sind die (Japaner, Anm. d. Red.) total aufgeschmissen. Wenn zum Beispiel so ein Tsunami mit 15 Metern Höhe daherkommt und droht, ein Kraftwerk zu zerlegen, stehen die da und tun erstmal vor lauter Fassungslosigkeit nichts. Weil ja im Bedienungshandbuch von TEPCO steht, dass ein Tsunami an dieser Stelle mit maximal einer Höhe von 5 Meter 80 aufkreuzt und deswegen eine 6 Meter hohe Schutzmauer ausreicht. Deswegen haben die dann erst zwanzig Mal die gleiche Stelle im Handbuch durchgelesen. Und zwar erst der diensthabende Wachmann. Der hat dann im Handbuch nachgeschlagen, wen er als nächsten informieren muss. Das war dann der Schichtleiter. Aber auch der kannte die Ausnahme von der Regel natürlich nicht, las zwanzig Mal nach und rief dann…
So ungefähr muss das gewesen sein. Also schmolzen in drei Reaktoren die Brennstäbe, was die TEPCOniker aber auch erst zwei Monate später gemerkt haben. War ja auch nicht zu erwarten, stand schließlich nicht in der Bedienungsanleitung. Und ein Handbuch „Vorbeugung von Kernschmelzen in Kernkraftwerken, die an besonders erdbeben- und tsunamigefährdeten Stellen stehen und dort hätten eigentlich nie gebaut werden sollen“ hatte TEPCO vorsichtshalber gar nicht erst drucken lassen.
TEPCO hat neulich auf einer Pressekonferenz tatsächlich mitgeteilt, dass ihnen in Fukushima Gras in die Plastikrohre des Notkühlsystems gewachsen ist. Das habe die Rohre perforiert und so seien ihnen leider ein paar Tonnen Strahlenbrause abhanden gekommen und in die Landschaft gelaufen. Echt wahr, ich habe das im Fernsehen gesehen. Und TEPCO war sich dann noch nicht einmal zu blöd dafür, Belegfotos herumzureichen. Die haben tatsächlich sündhaftteure Endoskopkameras in so billige Baumarktröhren geschoben, dass Gras durch die durchwächst! Müsst Ihr Euch anschauen, die Bilder findet ihr bestimmt noch im Internet.
Jetzt müsst Ihr aber nicht glauben, dass die versammelte Journaille dieser Hightech-Nation vor Entsetzen und Scham aufgeschrien hätte. Nein. Erst ein deutscher Journalist hat dann gefragt, ob TEPCO es ernst meint, eine der gefährlichsten Substanzen der Welt durch Billig-Rohre zu leiten, die sich von Gras perforieren lassen. Die unfassbare Antwort des TEPCO-Sprechers: Man müsse – ich zitiere wörtlich – „zugeben, dass unsere Kenntnisse in diesem Punkt nicht ganz ausreichend waren“. Nicht ganz ausreichend? Was für ein herrlicher Euphemismus für total ungenügend, unverantwortlich, unfassbar dämlich. Der deutsche Journalist hat netterweise nachgefragt, was TEPCO angesichts solcher nicht ganz ausreichender Kenntnisse denn befähigt, Atomkraftwerke zu betreiben. Die Antwort des sonst um keine Ausrede verlegenen TEPCO-Sprechers war satte 30 Sekunden lang und bestand aus – Schweigen. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Fazit von Martin Niessens 14-monatigen Erfahrungen mit Japan: „Nur Atomkraftwerke kommen hier in den Hausmüll.“
Sein Buch ist soeben als eBook erschienen und kann hier erworben werden.